Mittwoch, 7. September 1988

Miroslav Vitous: Der Klügere gab schließlich auf

Es hätte ein tolles Konzert werden können: Beim Auftritt des Star-Bassisten Miroslav Vitous im Rahmen der »Esslinger Jazztage 1988« in dem Disco-Schuppen »Music & Action« brachte ein offensichtlich nur am Umsatz interessierter Veranstalter das Publikum jedoch um ein (teuer bezahltes) Erlebnis und die Künstler um die angemessene Präsentation ihrer Musik.
Den Anfang machte der in der Schweiz lebende Ire Christy Doran. Was er dem Publikum mit Gitarre und einem Haufen modernster Effekt-Elektronik zu sagen hatte, war nicht besonders inhaltsreich. Mit einer zugegebenermaßen beachtenswerten Spieltechnik demonstrierte er eher die Fähigkeiten der Musikelektronik als seine eigenen: Dorans Vorstellung beruhte hauptsächlich auf rhythmischen Akkorden, die von den Hallgeräten dann endlos (ein solches Stück dauerte 25 Minuten) wiederholt werden. Darüber spielte Doran dann solistische Linien, deren Zusammenhang allerdings kaum erkennbar war und die meist jeglicher Inspiration entbehrten.
Nach kurzer Umbaupause dann eine kleine Sensation: Das Miroslav Vitous Trio (neben dem Bassisten noch Christoph Spendel am E-Piano und der Schlagzeuger Kurt Billkner) brachte als Gast den Ausnahme-Gitarristen Bireli Lagrene mit, der seine Fähigkeiten auf der elektrisch verstärkten Gitarre überzeugend unter Beweis stellte.
Das Trio spielte im ersten Teil einige Standards, die von den Musikern mit neuem Leben — besonders schön war etwa die lyrische Einleitung von »Stella by Starlight« mit einem Duett von Baß und Klavier erfüllt wurden.

Nach etwa einer halben Stunde fiel der zunehmende Lärmpegel auf, der das differenzierte Spiel der vier Musiker vollends untergehen ließ; schon vorher machte die schlechte hauseigene Verstärkeranlage die Feinheiten in Vitous' Spiel zu einem in den tiefen Lagen nicht mehr von ordinären Brummen zu unterscheidenden Klang-Mulm.
Der Grund für die hektische Bierzelt-Atmosphäre: Der Veranstalter vom »Music & Action« hatte zahlreiche Disco-Gäste in den Saal gelassen', die von dem Jazz-Konzert nichts und von der musikalischen Grösse der Musiker noch weniger wußten und ihrem Unmut über die »seltsame Musik« lautstark Luft machten.
Die Künstler hielten der Lautstärke vor der Bühne ihre eigene entgegen und spielten in einem wahren Jazzrock-Feuerwerk noch eine halbe Stunde weiter, bis auch ihnen klar wurde, daß der überwiegende Teil der Zuhörer mit der Musik nichts anfangen konnte.
Nach etwas mehr als einer Stunde war der Spuk beendet. Jazzfreunde wissen jetzt, was sie vom »Music & Action« zu halten haben. Die Stadt Esslingen, die die Schirmherrschaft der Jazztage übernommen hatte, sollte eine künftige Zusammenarbeit mit diesem »Musik«-Veranstalter gründlich überdenken. (mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...