Dieses Gedicht (»So-So«, 1942) schrieb der Dada- und Merzkünstler Kurt Schwitters sechs Jahre vor seinem Tod im englischen Exil. Keine Kritik mehr am Bürgertum und am Nazi-Regime — 1937 ging der Künstler endgültig aus Deutschland weg; seine Arbeiten werden in der »Entartete Kunst«-Ausstellung als »vollendeter Wahnsinn« bezeichnet —, sondern Flucht in ein witziges Wortspiel.Vier Männer saßen einst auf einem Dach.
Da sprach der Erste: »Ach!«
Der zweite: » Wie ist's möglich dann ?«
Der Dritte: »Dass das Dach halten kann?«
Der Vierte: »Ist doch kein Träger dran!!!«
Und mit einem Krach
Brach das Dach.
Kurt Schwitters wurde 1887 in Hannover geboren; sein künstlerisches Werk umfasst Bilder, Zeichnungen, Collagen, Skulpturen und nicht zuletzt Gedichte und Prosatexte. 1918 stellt Schwitters in der Avantgarde-Galerie »Der Sturm« in Berlin abstrakte Bilder aus, er schreibt für die gleichnamige Zeitschrift und nimmt 1922 im Dada-Treffen in Weimar teil. Die Nationalsozialisten können mit seiner Kunst noch weniger anfangen als das Bürgertum. Er flieht nach Norwegen, später nach Schottland. Sein erster »Merzbau« wird 1943 bei einem Luftangriff zerstört. 1948 stirbt Kurt Schwitters im Exil an Herzversagen.
Die Gruppe »Studio gesprochenes Wort«, die sich 1974 an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart gegründet hat, stellte am Freitagabend im Rahmen der Landesliteraturtage im Jacob-Fetzer-Buchladen einen Querschnitt durch das dichterische Werk von Schwitters vor. Das Interesse des Publikums war enorm groß — so groß, dass gleich zwei Vorstellungen angesetzt wurden.
Der Buchladen war noch nie so überfüllt wie am Freitag; die Zuhörer traten sich selbst im Nebenraum (wo sie nur hören, kaum sehen konnten) fast auf die Zehen. Vorgestellt wurden allerlei un-sinnige Gedichte von Schwitters. Und wer sich nach dem Sinn der ganzen Sache fragte, wurde wohl bitter enttäuscht.
Darum ging's allerdings auch nicht: Die Gedichte waren und sind zum Lachen da — zur Erzeugung von Fröhlichkeit, die nur aus dem Bauch und nicht aus dem Hirn kommen kann.
Besonders überzeugend und ansteckend agierte die fünfköpfige Gruppe dann, wenn es um Lautgedichte ging: Die »Ursonate« oder das »Simultangedicht« von 1919 begeisterten die Zuhörer in einer Art und Weise, wie man sie in Buchläden sonst selten mitbekommt.
»Die beste Veranstaltung der Literaturtage«, ruft einer; der Händler — die Leute vom Fetzer-Laden wussten nicht, was auf sie zukommt — ist selber ganz aus dem Häuschen und meint, dass das »die schönste Lesung« gewesen sei — in immerhin mehr als acht Jahren
Veranstaltungsbetrieb.
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 26. September 1988