Eigentlich wollten die Leute vom »Jazzclub in der Mitte« zum 25jährigen Bestehen ja was ganz anderes machen; vorgesehen war ein Konzert mit einem Jazzmusiker der Moderne, exklusiv für Deutschland. Das ging wegen des Einspruchs eines Mitveranstalters nicht; so spielten in der bewirteten, mit Tischen und Stühlen ausgestatteten Listhalle vier Gruppen und Solokünstler.
»Tante Frieda's Jazzkränzchen« ist eine Reutlinger Dixieland-Formation, die sich auf zahllosen Veranstaltungen eine außerordentlich große Beliebtheit beim Publikum erspielt hat. Der Auftritt von »Tante Frieda« hatte Symbolcharakter, war es doch immer ein Anliegen des mittlerweile einzigen Reutlinger Jazzclubs, auch lokale und regionale Musiker zu fördern. Die halbe Stunde Musik, die das Sextett spielte, fand deutlich den Gefallen des Publikums. Noch besser wäre der Auftritt wie auch die der anderen Künstler — geworden, wenn man die Instrumente so hätte hören können, wie sie eigentlich klingen: Die Musik des gesamten Abends wurde von der Beschallungsanlage der Listhalle übertragen, die sich bestenfalls für Sprachverstärkung eignet.
So klang vieles gleich, einzelne Soloinstrumente waren nur mit größter Anstrengung zu orten, und der Schall, von den vielen seitlich angebrachten Mini-Lautsprechern scheppernd abgestrahlt, brach sich viele Male. Man hatte bei »Tante Frieda« und der »Ragtime Society« aus Frankfurt den Eindruck, als ob man eine nachträglich auf Stereo getrimmte historische Aufnahme hören würde.
Das Klangbild der »Ragtime Society« war, wegen der größeren Zahl der Instrumente, noch bescheidener als bei »Tante Friedas Jazzkränzchen«. Das Publikum an den Tischen ließ sich die gute Laune aber nicht verderben und nahm die musikalisch authentische Reise durch die Welt der Ragtimes — mit Beispielen von Eubie Blake, Scott Joplin und vielen anderen — begeistert auf. Gut auch, daß die Gruppe die einzelnen Stücke und ihre Entstehung erklärte.
Jochen Bosa erwies sich als ein liebevoller Interpret des Boogie Woogie; sein Spiel ist nicht nur technisch brillant, sondern auch musikalisch gekonnt. Schade nur, daß aus dem schönen Flügel via Lautsprecher ein verzerrtes und in den Anschlägen verwischtes Kneipenklavier wurde und die Gesamtlautstärke für diese Art von Musik zu leise war; an den etwas weiter hinten platzierten Tischen übertönte das Gespräch so manchesmal die Musik. Die lebt von der Kommunikation zwischen Musiker und Publikum; bis auf einige wenige Mitklatschversuche war nur wenig von der Begeisterung und Stimmung zu spüren, die in einem kleinen Club entstehen kann.
Für Blues-Kenner traurig war der Auftritt des fast 80jährigen Champion Jack Dupree. Die Blues-Legende machte zwar viele Witze und noch mehr Späße über seine Affinität zu alkoholischen Getränken (»Shakespeare says: No beer, no music«) — sein Klavierspiel ließ aber nur noch selten die ehemalige Größe dieses Musikers ahnen. Dupree hatte Schwierigkeiten, sein Tempo zu halten und vergriff sich oft. Nur ein einziges Mal, als er leise und verhalten über seine schlimme Kindheit und seine Beziehung zum Klavier (»Piano means Freedom«) sang, wurde aus der kalten Listhalle ein kleiner Jazzclub mit Wärme und Gefühl. Es geht hier wirklich nicht darum, einen der größten lebenden Musiker des Blues zu demontieren, aber die hüftschwingenden Einlagen von Dupree — Jochen Bosa begleitete ihn am Flügel — waren peinlich berührend.
Da vergaß eine Legende all ihren Stolz und ließ sich fürs Publikum, das bestenfalls in den vordersten Reihen ein wenig mitging, in die alte »Onkel Tom«-Rolle — die doch eigentlich keiner mehr heutzutage sehen will — fallen und erzeugte ein betroffen machendes, nicht stimmendes Bild vom schwarzen Komödianten, der sich auf der Bühne prostituiert.
Die »Mitte« und die Künstler hätten zum Jubiläum wahrlich besseres verdient. Das Publikum in der Listhalle — von dem ein »Mitte«-Macher schätzte, daß »80 Prozent noch nie im Jazzkeller waren« — hat erlebt, was Jazz eben auch sein kann; Glamour und Schminke hatten und haben in dieser Musikform keinen Platz. (mpg)
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