Die große Zeit des Kinos ist vorbei — Fernsehen und Video haben das Erlebnis Kino endgültig verdrängt. »Schön war die Zeit«, der neue Film der »Westallgäuer Filmproduktion«, zeigt das Kinosterben und seine Ursachen am Provinz-Beispiel. Zur Bad Uracher Erstaufführung im Kino »forum 22« des Stadtjugendrings stellte sich der Regisseur Leo Hiemer den Publikumsfragen.
Isny 1945: Der Krieg ist vorbei, französische Truppen haben den Ort besetzt. Der ehemalige Ufa-Regisseur Hartmeyer gräbt eine alte Filmkamera aus, die er versteckt hat: »Film ist die einzige Kunst, der sich niemand entziehen kann«. Sein Freund, der Kameramann Bauer, will die Vergangenheit bewältigen und »kritische« Filme über die Nazizeit drehen.
Das geht nur, wenn man Geld hat — und Bauer hat keins. »Das haben die selber erlebt, das will keiner sehen«, weiß der jovial-schmierige Produzent. Hartmeyer will weiter Karriere machen, seine Widerstände gegen einen Heimatfilm sind nicht a1lzu groß. Eva, die Produktionsleiterin, soll auf Drängen staatlicher Stellen, die Heimatepen finanzieren, endlich Hartmeyer heiraten, obwohl sie sich längst für Bauer entschieden hat. Am Ende hat die Karriere Vorrang — Bauer landet als Kameramann beim Fernsehen.
Die kleinen Kisten sind der Tod der »Alpenlichtspiele«, in denen Otto — erst als Filmvorführer, dann als Besitzer — wirtschaftet. Mit dem Einzug des Fernsehens ist es auch mit der Karriere von Hartmeyer vorbei. Immer weniger Leute wollen seine Filme sehen. Als die »Abendschau« anläßlich des Abrisses der »Alpenlichtspiele« bei dem einst gefeierten Regisseur nachfrägt, ob er sich nicht ein bißchen mitverantwortlich fühle für das Kinosterben, wäscht Hartmeyer seine Hände in Unschuld: »Ich habe immer nur das gedreht, was die Leute wollten«.
»Schön war die Zeit« zeigt in einfühlsamen, manchmal wunderschönen Bildern das Leben in einer deutschen Provinz — genau wie auch schon der Fast-Kulturfilm »Daheim sterben die Leut'«. Die Rahmenhandlung — Aufstieg und Fall des Regisseurs Hartmeyer — ist diesmal aber ein eher großstädtisches Thema und, wie der Regisseur Leo Hiemer versichert, keineswegs frei erfunden: »Das ZDF hat das Drehbuch abgelehnt, weil's ein zu großes Risiko wäre«.
Den aalglatten Karrieristen Hartmeyer gab es wirklich, sogar dutzendfach, auch wenn er einen anderen Namen hatte. Der Mief und die unerträgliche Kitschigkeit des »deutschen Heimatfilms« nach dem Krieg werden genauso gut beobachtet dargestellt wie die Leute, die sich ganz schnell den neuen Verhältnissen anpassen, aber abends in der Dorfwirtschaft sich zum »Kriegervereinstreffen« zusammensetzen.
»Schön war die Zeit« ist ein liebevolles Porträt einer Landschaft und ihrer Menschen, und dazu noch — wen wundert's - eine Liebeserklärung ans Kino. Dank des Vier-Millionen-Etats sind die Bauten und überhaupt die ganze Ausstattung professionell — wie auch die Leistungen von Edvard Selge (Hartmayer), Ewa Blasczyk (Eva) und dem hervorragenden Gottfried John in der Rolle des Kameramannes Bauer.
Befürchtungen eines Besuchers, die »Westallgäuer Filmproduktion« sei mit diesem Film weit von ihren Amateur-Wurzeln abgewichen, teilt Hiemer nicht: »Wir haben zwar mit Filmen für die ländliche Bevölkerung angefangen, sind aber in den zehn Jahren unseres Bestehens ganz schön herumgekommen. Wir können das Rad nicht zurückdrehen.«
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 07. Januar 1989
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