Die Musik des in Paris lebenden Marokkaners Cheb Kader, eine Mischung aus arabischen Rhythmen und Melodien mit afroamerikanischen Stilen wie Funk, Jazz, Soul oder auch Blues, kam auch in Tübingen sehr gut an — so gut, daß nach zwei Stunden »Rai«-Fest das Kondenswasser nur so von den großen Fenstern der Uni-Mensa troff.
Daß die Organisatoren vom »Club Voltaire« den charismatischen Sänger eingeladen haben, macht Sinn: Cheb Kader ist einer der herausragendsten Vertreter der neuen »Weltmusik«-Szene, die von Paris aus die westliche Musikwelt erobert. Die Musik des Marokkaners basiert auf dem »Rai«; der wiederum ist in den späten 20er Jahren aus der Hochzeits- und Festmusik arabischer Beduinen entstanden. Die Bedeutung des Wortes ist etwa »Standpunkt« oder »Meinung«. Die Themen des »Rai« sind die des Blues, Tango oder Rembetiko: Neben Liebesgeschichten vor allem die Probleme einer Minderheit.
Auf jeden Fall ist diese extrem rhythmische Musik das Sprachrohr der algerischen Jugend, die zwar drei Viertel der Bevölkerung ausmacht, aber kaum Entfaltungsmöglichkeiten hat. »Die arabischen Teenager hören dieselbe Musik wie ihre französischen Altersgenossen, amerikanischen Discosound. Traditionelle orientalische Musik kennen sie zwar von ihren Eltern, sie selbst würden sich aber nie solche Platten kaufen . . .«, sagt Kader, dessen Musik in diese Lücke springt: Unverkennbar von der arabischen Melodik beeinflußt, aber in Arrangement, Instrumentierung und manchmal auch Rhythmik stark an »schwarze« Popmusik angelehnt.
Die Mischung aus »schrägem« Gesang, manchmal prügelhartem Funk und Pop-Zitaten ähnelt der, die die »Dissidenten« einmal in die Discos brachten, nur ist bei Cheb Kader das »Cheb« heißt übrigens »jung« und ist ein bei »Rai«-Künstlern üblicher Namensvorsatz — alles viel filigraner, vielseitiger und musikalisch spannender.
Das Tübinger Konzert war das letzte einer langen Tournee, die Musiker besonders locker, gelöst und spielfreudig. Mal klang's ein bißchen nach James Brown, mal nach Prince oder, wenn der hervorragende Gitarrist gerade wieder eines seiner zahlreichen und kurzweiligen Soli spielte, ein bißchen nach Carlos Santana.
Für die »arabische« Seite der Musik waren neben der geschmeidigen Stimmakrobatik Kaders der Mann an der Violine und die sparsam eingesetzten Keyboards verantwortlich. Baß und Schlagzeug spielten unglaublich dynamisch und orientierten sich an amerikanischer Musik schwarzen Ursprungs. Das Publikum war »gut drauf« und völlig aus dem Häuschen, was die Musiker auch nicht gerade traurig stimmte. Nach 90 Minuten Tanzmarathon forderten die schweissnassen Besucher in der fast vollen Mensa Zugaben, die Cheb Kader dann auch ausgiebig gab: Absolut locker, sympathisch und quietschvergnügt schaute er noch einmal eine halbe Stunde zu, wie sich die Leute an den Rand der Erschöpfung tanzten. Ein tolles Konzert! (mpg)