Der norwegische Tenor- und Sopransaxophonist Jan Garbarek, der auf Einladung des »Zentrum Zoo« mit seiner Gruppe in Tübingen spielte, hat eine Souveränität und Sicherheit erreicht, die ihn alle möglichen musikalischen Einflüsse aufnehmen läßt, ohne daß deswegen die typischen Klangmerkmale verlorengehen.
Der mittlerweile 42jährige Musiker gilt als einer der besten Saxophonisten Europas; sein »Markenzeichen« sind weitgeschwungene Melodiebögen, die er mit klarem, oft spröden und manchmal schneidend hellem Ton zu poetischen Stimmungsbildern zusammenfügt.
Garbareks Musik kommt beim Publikum hervorragend an, seine Platten finden für Jazz-Verhältnisse reißenden Absatz - und Kollegen wie Kritiker überschütten ihn geradezu mit Lob und Auszeichnungen.
In Tübingen war der Klang-Asket schon öfters; auch diesmal wurde er von den Zuhörern herzlich empfangen. Mit seinen derzeitigen Mitmusikern Eberhard Weber, Nana Vasconcelos und Rainer Brüninghaus ist Garbarek den einmal eingeschlagenen Weg konsequent zu einem vorläufigen Höhepunkt gegangen; keine seiner bisherigen Formationen spielte so vielfältig und doch homogen.
Das mag daran liegen, daß mit dem Keyboarder Rainer Brüninghaus jetzt noch ein Musiker mitspielt, der ähnliche Auffassungen wie der Saxophonist selber hat — Bassist Eberhard Weber, das weiß man, ist schon lange so etwas wie ein »alter ego« Garbareks. Der Verzicht auf ein Schlagzeug, die nur stellenweise eingesetzte Perkussion des Nordbrasilianers Nana Vasconcelos scheint bei der knappen Tonsprache des Norwegers ebenfalls logisch. »Weniger ist mehr«, lautet die Devise.
Die Konzentration auf das seiner Ansicht nach musikalisch Notwendigste bewahrt Garbarek davor, seine oft kinderliedhaften Melodien in die Nähe des Kitschs zu spielen.
Rainer Brüninghaus harmoniert mit seinen weichen Akkordschichtungen und »Minimal Music«-beeinflußten rasend schnellen Arpeggios ebenfalls hervorragend mit seinem Chef. Garbarek ließ im Tübinger Konzert seinen Mitspielern viel Raum, und das war gut so: Die Soli von Brüninghaus bewegten sich wie die der anderen auf einem bestechend hohen musikalischen Niveau.
Eberhard Weber spielte nicht nur mit seinen Kollegen, sondern auch viel — und spannend anzuhören — mit sich selbst: Rhythmuskürzel wurden von der Elektronik ständig wiederholt; durch die Schichtung verschiedener Linien entstanden wahre Baß-Klangflächen, die durch stellenweise gleichzeitig Rhythmus-und Melodiefunktion zu haben schienen.
Wesentlichen Anteil an diesem beeindruckenden Konzert hatte auch der Perkussionist Vasconcelos, der mit einer Unzahl von Trommeln, Becken, Rasseln, Klanghölzern, aber auch mit seiner Stimme und seinem Körper die exotischsten Klänge produzierte, dem Ganzen — oft durch einfache Elektronik-Schlagzeugfiguren unterstützt — den »Grundpuls« gab und trotzdem noch mit tänzerischer Leichtigkeit Akzente setzte.
Jan Garbarek hat mit seiner jetzigen Formation das auf bisher dreißig Platten dokumentierte Konzept fortgeführt, durch die Wahl seiner Mitmusiker verbessert und mit verstärktem Einsatz von elektronischen Effekten vorsichtig erweitert: Die Zuhörer hatten nach über zwei Stunden fragil-ruhiger Musik noch nicht genug und forderten begeistert eine Zugabe, die Garbarek (solche treuen Fans enttäuscht man nicht) auch gab. (mpg)