Samstag, 23. September 1989

Imre Török, Peter Grohmann: Doppel-Lesung zum Abschluss

Zum vierten und zugleich letzten Vorleseabend innerhalb der »Schrankenlos leben«- Ausstellung lasen in der Eingangshalle des Reutlinger Rathauses die beiden Autoren Imre Török und Peter Grohmann vor etwa 40 Zuhörern.
»Ich will jetzt gar nicht mehr soviel sagen«, meinte Török, der bei den anderen Lese-Veranstaltungen die Moderation übernommen hatte — seine und Grohmanns Texte kamen während der knappen Stunde, die die Lesung dauerte, bei den Zuhörern trotzdem gut an. Sowohl der in Stuttgart lebende Schriftsteller und Kabarettist Grohmann (»Therapeuten hör ich läuten«) als auch Török stellten sich mit einem kurzen Text vor: Vom einen waren Momentaufnahmen aus der Kindheit zu hören, eine Begegnung spielender Kinder mit russischen Soldaten in Schlesien 1945, die — entgegen den Erwartungen - gar nicht böse und fürchterlich sind: »Amnestie International« hieß der expressive Vorstellungs-Text von Török., den er geschrieben hat, als er sich intensiv mit Werken von hap Grieshaber auseinandersetzte, und der auch als Texttafel in die AuSstellung integriert ist.
Von dem Sindelfinger Schriftsteller ungarischen Ursprungs gab es — neben anderem noch eine sehr poetische, bisher unveröffentlichte Geschichte um das Leuchtkäferchen »Lucius« zu hören, das aus seiner Heimat »Illuminatien«,zu braunen Schaben-Gesellen nach "Kakerlakien" kommt, wo sein Leuchten als Angeberei verstanden wird...
Peter Grohmann erzählte eine witzige (wohl auch realistische) Geschichte mit dem Titel »Das Manuskript«: Ihm ist da eine tolle Geschichte eingefallen, wo ein »achtjähriges Kind ohne Eltern aus einem Land der Dritten Welt flieht« und von einer deutschen Entwicklungshelferin versorgt wird. »Es entwickelt sich eine Mutter-Kind-Beziehung. Soll sie den Kleinen mit in die WG nehmen? das reicht für sechs, ach was sag ich, zwölf Folgen.« Im Fernsehen natürlich.
Der Produzent, der nach drei Wochen antwortet, findet »das mit dem Mädchen eine tolle Idee. « Seiner Vorstellung nach wird die »14 — 15jährige junge Wilde, Bluse zerrissen«, von ihrem Freund, »diesem Dealer« aus dem Heim entführt. Die Entwicklungshelferin verwandelt sich in »die Oma« und auch sonst verändert sich einiges an der Geschichte. Auf die erstaunte Frage des Autors, was denn die Oma solle, meint der Produzent nur: »Sie sind doch der Autor«.
Reichlich komisch und gleichzeitig belämmernd war das Pamphlet »Ja zum Müllexport«, wo der Satiriker .Grohmann vorschlägt, den Wohlstandsmüll der Ersten in ausgewählte Länder der Dritten Welt zu bringen. Von dem Geld, das als Wiedergutmachung für die Müllberge fließt, kann das arme Land sich dann selber eigenen Wohlstandsmüll leisten, den es natürlich weiterverkaufen muß — an irgendein armes Land, das von dem Geld reich wird und sich eigenen Müll leisten
kann, den man dann...
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 23. September 1989

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In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...