»Das ist wie Weihnachten«, meinte der Pianist Thomas Goller zu Beginn des Konzerts in der Münsinger Zehntscheuer. Nicht etwa, daß der gemütliche Saal mit Lametta dekoriert gewesen wäre oder die Stimmung besonders feierlich war: Zum einen freuten sich die Musiker, daß alle Plätze besetzt waren, zum anderen, daß sie überhaupt spielen konnten.
Die Musiker um Goller und den Gitarristen Klaus Rückbeil sind nämlich »nicht aus New York«, sie haben keine zugkräftigen Namen und sind Amateure. Wenn man sich dann auch noch entscheidet, weder Dixieland noch Jazzrock zu spielen, hat man es schwer: Obwohl sie gerne öfter auftreten würden, kommen die Musiker »auf höchstens vier Konzerte im Monat«.
Die Zurückhaltung der Jazz-Veranstalter bei Nachwuchs-Formationen ist nicht immer nachvollziehbar — das spieltechnische und musikalische Niveau des Münsinger Konzerts war beeindruckend hoch. Dazu kam, besonders im zweiten Teil des zweistündigen Programms, eine Spielfreude und Ausgelassenheit, wie man sie selbst bei Profis in diesem Rahmen nur selten erleben kann.
Daß die über hundert Jazzfans den dargebotenen Mainstream-Jazz begeistert aufnahmen, liegt sicher auch an der lokalen Bekanntheit des Pianisten: Thomas Goller kommt aus Münsingen. Kennengelernt haben sich die Musiker bei der »Swiss Jazz Group«; Bassist Michael Walter kommt aus Böblingen, Rückbeil aus Sigmaringen, Schlagzeuger Ralf Ruh aus Zürich. Der Gast-Altsaxophonist Ulrich Bender ist in Tübingen zu Hause.
Das Programm war eine wohlausgewogene Mischung aus »Standards« und Eigenkompositionen der Musiker. Neben einem Stück der Saxophon-Legende Sonny Rollins oder Duke Ellingtons »Satin Doll», dem die fünf Musiker erstaunlich viel Frische verliehen, konnten die Zuschauer Kompositionen von Goller und Rückbeil hören, die teilweise lateinamerikanische Rhythmik mit Jazzelementen verknüpften. Thomas Goller verband mit kräftigen Blockakkorden und expressivem Stil die Gruppe; seine Soli waren abwechslungsreich und interessant. Klaus Rückbeil musizierte auf einer halbakustischen Gitarre anfangs sehr zurückhaltend; auch stimmte die Lautstärkebalance zwischen seinem Instrument und den anderen nicht immer. Sein Spiel bringt eher sanfte, »lyrische« Tonschattierungen hervor; gerade die Beschränkung auf wenige, dafür umso ausdrucksstärkere Töne war hier sehr reizvoll.
Was besonders auffiel, war das Rhythmusgefühl der Gruppe: Die Jazz-Studenten swingten und groovten besonders im zweiten Teil des Konzerts unwiderstehlich. Michael Walter wußte mit erdigem, packendem Baßspiel das sehr dynamische und facettenreiche Schlagzeug zu unterstützen; Ralf Ruh lief speziell in seiner Beckenarbeit mit interessanten Rhythmusverschiebungen und effektvollen Betonungen zu einer zwingend swingenden Form auf.
Einen besonderen Ohrenschmaus lieferte immer wieder Ulrich Bender auf dem Altsaxophon: Mit makelloser Technik blies er wunderschöne Soli; seine Phrasierung war hell, klar und trotzdem »heiß».
Die Musiker spielten im Verlauf des Konzerts immer enger zusammen und ließen so vergessen, daß sie keine Profis, nicht aus Amerika sind und auch keine schwarze Hautfarbe haben. Auf solche Äußerlichkeiten legen sowieso nur verbohrte Puristen wert — das Publikum nahm die Darbietung begeistert auf und belohnte die Musiker mit dem kräftigen Applaus, den sie verdienten. (mpg)
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