Samstag, 28. Oktober 1989

Boogie Down Productions: HipHop mit Tiefgang

Als der 25jährige Sozialarbeiter und Teilzeit-Discjockey Scott Sterling am 25. August 1987 in der New Yorker Bronx von zwei Schüssen getroffen wurde und in der Nacht starb, war für voreilige Leute alles klar. »Selber schuld«, hieß es. Unter seinem Künstlernamen Scott L Rock, mit der eigenen Organisation »Boogie Down Productions« und mit seinem Partner KRS One hatte Scott eine Rap-Platte veröffentlicht, die nicht nur »Criminal Minded« betitelt war, sondern die beiden Künstler auch in martialischer Pose mit Handgranate und Pistole zeigte.
KRS One, der heute mit den »Boogie Down Productions«. die mit Scott La-Rock begonnene Idee weiterführt, erläutert das Konzept, hinter dem mehr als die unter Rappern weit verbreitete »Meine-Goldketten-sind-größer-als-deine«-Mentalität zu finden ist: »Die erste LP war nichts als ein Statement - wir sind alle >criminal minded". Die Platte war dazu da, das Hardcore-Publikum zu erobern. Wir wollten nicht über unser Publikum hinweggehen, sondern mit den Leuten reden, um sie dann auf die nächst höhere Ebene zu führen.«
Dem ehemaligen Graffiti-Künstler Lawrence Krisna Parker, eben KRS One (der »erste Kris»), will seinem Publikum etwas geben, was man »Lebenshilfe« nennen kann. Es geht ihm darum den schwarzen Ghetto-Kindern ihre eigene Situation bewußt zu machen." Weg von Gewalt. Prostitution. Drogen — hin zum »großen Kuchen — Einigkeit, Weltfrieden, Achtung gegenüber der Intelligenz. Liebe und Verstehen«, sagt KRS One. Aber auch: »Zeige diesen Kuchen niemals den Kids. Zeig ihnen die Dinge, die sie zu dem Kuchen hinbringen.«

Die Rattenfänger-Methode: Weil das schwarze HipHop-Publikum der Ghettos sich in der gereimten Situationsbeschreibung von »Criminal Minded« wiedererkannte, war es bereit, sich auch mit der zweiten »BDP«-Platte auseinanderzusetzen. »Boogie Down Productions« ist eine auf siehen Platten angelegte Serie. »Unser Publikum wird die Entwicklung, die wir machen, mitvollziehen. Und sie werden genau verstehen, wovon ich rede und wissen, was sie davon zu halten haben.« KRS One findet bei den schwarzen Jugendlichen deswegen Gehör, weil er einer von ihnen ist. Der wegen Drogenbesitz und -handel vorbestrafte, in einem Heim auf gewachsene KRS One kennt das Leben auf der Straße — und hat vor allem einen Weg gefunden, aus dem Dreck herauszukommen. Die ehemalige »homeless person«, die um die begehrten Schlafplätze über den Abzugsschächten der New Yorker U-Bahn kämpfen mußte, hat es auf die Titelseiten führender Star-Postillen gebracht.
KRS One weiß, daß es Selbstbewußtsein braucht, um aus der Perspektivlosigkeit herauszukommen. Die erste LP war eine Zustandsheschreibung, »By all means necessary« beschäftigte sich mit Politik im Großen und Kleinen, mit Gewalt und Gegengewalt, präsentierte dem hartgesottenen jugendlichen Kriminellen mit »Stop the violence« eine friedliche Gedankenwelt.
Die neue Platte von KRS One und den »Boogie Down Productions«, das dritte von sieben Kapiteln mit dem Namen »Ghetto Music: The Blueprint of HipHop«, fordert die Zuhörer auf, eigene Schlüsse zu ziehen, im positiven Sinn aus dem Aufgezeigten zu lernen. KRS One will weiter gehen: »Ich möchte genau den Punkt untersuchen, an dem es zur Sklaverei kam . . . Wir sollten uns darauf konzentrieren, wer wir vorher waren, vor der Sklaverei, vor dem Rassismus — und diesen Gedanken ins Jahr 1989 übertragen. Also nicht: Zahlt's den Leuten heim, die den Rassismus begonnen haben>, oder >Tötet sie!> Das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist: Was war vorher?"
Nicht nur in seinem Konzept, seiner »Message«, wenn man will, ist KRS One seinen Kollegen meilenweit voraus. Auch musikalisch bringen die »Boogie Down Productions« Neues, verbinden beispielsweise Rap mit Raggae-Rhythmen, laufen die Beats nicht stur durch, sondern unterstützen die Worte.
Weg von der Gewalt, hin zum friedlichen Miteinander — diese Forderung findet auch auf den Platten ihre musikalische Entsprechung. War die erste Platte hart, nervend und direkt, finden sich auf der aktuellen Produktion soulige Bläsersätze, einschmeichelnde Harmonien und differenzierter, oft ironischer Umgang mit Zitaten aus der Geschichte der schwarzen Musik.
Aber: Das ist erst das »dritte Kapitel« des musikalischen Buchs, das KRS One »schreibt«: »Erst wenn man das ganze Buch gelesen hat, wird man endlich überall begreifen, was wir eigentlich machen.« Schön wär's.   (mpg)

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In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...