Vor zwanzig Jahren erschien die erste offizielle Platte von Irmin Schmidt, Michael Karoli, Jaki Liebezeit, Holger Czukay und Malcom Mooney. Neu waren bei »Monster Movie« nicht nur die hypnotischen, faszinierenden, niemals vorher oder nachher gehörten Klänge neu war vor allem die Art, wie die Musiker ihre Musik machten.
Im Gegensatz zu anderen Musikern entstand die Musik der dreizehn »Can«-Platten, die zwischen 1989 und 1982 veröffentlicht wurden erst in dem Moment, wo die Musiker zusammen im Studio oder auf der Bühne spielten. Das Rezept war und ist — denkbar einfach: Minimale Absprachen, keine »Kompositionen« im herkömmlichen Sinne, nur aufeinander hören, hören und nochmals hören.
Schlagzeuger Jaki Liebezeit vergleicht die Arbeitsweise der Gruppe mit der einer Fußballmannschaft: »Die proben das Spiel ja auch nicht vorher ein. Die haben Strategien, etwas dramaturgische Gestaltung — und die Regeln müssen halt eingehalten werden. In der Musik hat jedes Stück seine eigenen Regeln. Die Tonleiter und ein paar Dinge sind vorgegeben. Dann muß man gucken, daß nicht einer zu lange alleine dribbelt, sondern daß der Ball abgegeben wird, daß eine Teamarbeit entsteht, die Gruppe optimal zusammenarbeitet.«
Auch die Konzerte der Gruppe liefen nach diesem Blindflug-Schema ab. Wenn's gut ging, kam fantastische Musik heraus — genausogut konnte ein Konzert im totalen musikalischen Fiasko enden, weil sich die Musiker irgendwann verzettelt haben.
Kein Stück auf »Tago Mago«, »Soon over Babaluma«, oder »Future Days« klingt wie das andere, niemals gelang es »Can« mit anderen Gruppen zu vergleichen oder gar das Herkunftsland herauszuhören. Aus den stundenlangen Sessions im gruppeneigenen »Inner Space Studio«, einem in Eigenarbeit umgebauten Kino in Weilerswist bei Köln bastelten die Musiker Platten, die damals und heute ihrer Zeit weit voraus waren und sind. Platten, die zunächst mit einfachster Zweispur-Technik aufgenommen wurden — nicht die Anzahl der Effektgeräte oder Tonbandspuren machte den »Can«-Sound, der sofort wiedererkennbar ist, aus, sondern alleine das Zusammenspiel der Musiker und eine bis ins letzte ausgetüftelte Mikrofonaufstellung.
Malcom Mooney, der schwarzhäutige Sänger von »Can«, war eigentlich Maler und Bildhauer. Seine Texte entstanden wie alles andere bei »Can« spontan und genau in dem Moment, wo er den Mund aufmachte. »Der Lyrik-Anteil bei >Can< ist äußerst gering. Und seine Verständlichkeit ist nicht unbedingt notwendig, denn bei uns ist die Stimme eigentlich immer mehr Instrument als etwas anderes . . . >Can< ist keine Gruppe, die Botschaften außerhalb ihrer musikalischen verkündet.«
Nach dem Ausscheiden von Mooney, der mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte, kam der Japaner Damo Suzuki, der auch nur bis zur fünften Platte blieb. Die »Can«-typische Arbeitsweise führte natürlich zu großen Spannungen innerhalb der Gruppe, die sich aber meistens in guter Musik entluden: »Bei uns ist der Klang der Diktator . . . Es muß einfach jeder auf das hören, was zu hören ist und damit spielen«, sagt der Gitarrist Michael Karoli, »aber ohne Spannungen würde es gar nicht gehen — Spannungen, die sich entweder in Form eines kleinen Streits entladen oder in Form von guter Musik«.
Mit letzterer ging es ab »Landed« im Jahr 1975 bergab. Die Gruppe nahm von da an im Mehrspurverfahren auf, und die einzelnen Mitglieder waren nicht mehr darauf angewiesen, zusammen zu spielen. Das Ende war abzusehen, als mit Reebop und Rosko Gee zwei neue Musiker einstiegen und Czukay die Gruppe verließ. Im Dezember 1978 erschien mit »Can« die letzte Platte der Band vor einer zehnjährigen Pause.
Und jetzt gibt es mit »Rite Time» eine (fast) neue Produktion, auf der die »Can«-Urbesetzung — mit Mooney dieselbe unvergleichliche Musik macht wie in den Tagen von »Monster Movie«. Im Gegensatz zu anderen müssen die »Can«-Individualisten weder sich noch anderen irgendetwas beweisen: Alle Einzelmusiker haben sich mit anderen Projekten profilieren können, keiner stand unter Zwang. Dieselben Leute, dieselbe Methode, derselbe Klang: »Can« ist immer noch der Zeit voraus, »Rite Time« ist voll von seltsamer, faszinierender Musik, die nicht nur unbeschreiblich, sondern auch wirklich unvergleichbar ist. (mpg)