Demnächst ist in Reutlingen Premiere der neuen "Tonne"-Inszenierung von "Fräulein Julie" des schwedischen Dichters August Strindberg; am vergangenen Wochenende gab das gesamte Ensemble des Theaters in der Tonne einen kleinen Einblick in das Leben dieses zerrissenen Dramatikers.
»Strindbergs Inferno — Lust auf Strindberg« stand als Motto über der 50minütigen szenischen Lesung, die dem kleinen Kreis in der Tonne neben den reinen Lebensdaten des vielseitigen Strindberg sehr lebendig das Inferno vorführte, das besonders dann wütete, wenn der Dichter, der sich auch als Lehrer, Bibliothekar, Journalist und Schauspieler versuchte, dem anderen Geschlecht begegnete.
Strindbergs Verhältnis zu Frauen, das zeigte sich in den vorgelesenen Briefen und Texten, war — vorsichtig gesagt — seltsam; ohne Frauen konnte er nicht leben, mit Frauen auch nicht…
Überzeugt von der eigenen Größe und Genialität muss der Dichter immer zwischen Verehrung und Verachtung seiner Partnerinnen geschwankt haben — auch sonst war seine Persönlichkeit gespalten.
Das wurde den Zuschauern besonders in einer kleinen Interview-Szene deutlich, die nur Widersprüche aufdeckte. Die zahlreichen Fehden, die sich der Dramatiker mit Kritikern, staatlichen Institutionen und vermeintlichen oder tatsächlichen Nebenbuhlern lieferte, wurden vom Ensemble ebenso plastisch angerissen wie sein Männlichkeitswahn und Frauenhass.
Zu den Texten konnte man vor der Vorstellung allerlei wunderbar kitschige Liebesschnulzen auf dem Klavier hören, und auch sonst wurde' die szenische Lesung mit musikalischen Beiträgen, nicht weniger lustvoll interpretiert, witzig aufgelockert.
Lust auf Strindberg — die haben nicht nur die Tonne-Spieler, sondern jetzt auch .jene Leute, die diesen bunten Bilderbogen (im Foyer gab's zusätzlich Probenfotos, und anderes, liebevoll präsentiertes Material) zu August Strindberg gesehen haben.
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 03. Oktober 1989
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