Der 40jährige Musiker aus der 15-Millionen-Stadt Sao Paulo ist nämlich hierzulande nicht sonderlich bekannt; die fast nicht vorhandene Werbung des »Club Voltaire«, der für das Konzert im soziokulturellen Zentrum »Sudhaus«als örtlicher Veranstalter verantwortlich zeichnete, tat ein übriges, die Zuhörerschar klein zu halten.
Als der einflußreichste Vertreter der »Cultura paulista«, die sich in Sao Paulo eigenständig von Rio etablieren konnte, nur mit der Gitarre auf der Bühne kam, um einige seiner vielen, perfekten Lieder zu spielen, sah alles nach einem schlechten Konzerterlebnis aus. Neben ungefähr 20 erwachsenen Besuchern wurde das »Sudhaus« von einer Gruppe von 30 Schülern bevölkert, die sich, offenbar uninteressiert, recht lautstark in rheinischem Dialekt unterhielten.
Der spindeldürre dunkelhäutige Musiker ließ sich seinen Unmut über das geringe Interesse an seiner Musik kaum anmerken und schaffte es, nur von der akustischen Gitarre und einer Sängerin begleitet, mit kurzen, harmonisch und rhythmisch ausgefeilten Stücken die Zuhörer immer mehr in seinen Bann zu ziehen. Extreme Dynamiksprünge, manchmal fast geflüsterte Textzeilen und dann wieder expressiv artikulierter Scat-ähnlicher Gesang, ließen das Jungvolk, das offenbar kollektiv ins Konzert getrieben worden war, nach und nach verstummen.
Als dann, zusätzlich zu Assumpcäo und seiner Sängerin, drei weitere Musiker an Gitarre, Baß und Schlagzeug zu spielen begannen, hatte der ehemalige Schauspieler, der heute einer der wichtigsten Avantgarde-Musiker der populären hrasilianischen Musik ist, schon fast gewonnen.
Die Begleitband setzte in den folgenden zwei Stunden die perfekt ausbalancierten Pop-Preziosen von Assumpcao — seine Lieder werden inzwischen von Stars wie Ney Mategrosso oder Gilberto Gil gesungen — packend, variantenreich und handwerklich auf höchstem Niveau um. Da gab es Reggae in allen Variationen zu hören, der gleichzeitig in der Karibik und in Brasilien wurzelte. Funk, Blues und Soul integriert der Komponist Assumpcao genauso selhstverständlich in seine toll arrangierten Songs, wie er souverän auf die ganze Palette hrasilianischer Rhythmen zurückgreift, um damit seine einfachen, aber wirkungsvollen Melodien zu unterstützen.
Im Gegensatz zu den Arrangements auf den beiden Platten von Itamar Assumpcao (»Intercontinental« und »Sampa Midnight«, erschienen bei Messidor) beschränkten sich die des Tübinger Konzerts auf das Wesentliche. Wo auf Platte feinziselierte, eng miteinander verzahnte Instrumentenvielfalt zu hören ist, spielten die fünf Musiker in Tübingen sparsam, aher dennoch sehr intensiv und ausdrucksvoll.
Im zweiten Teil des Konzerts tauten Itamar Assumpcao und das inszwischen zahlreicher gewordene Publikum mehr und mehr auf; des Sängers Schwester Denise tanzte während ihrer Gesangseinlage wild mit einem Besucher und Assumpcao selber ging oft ins Publikum, suchte den direkten Kontakt mit seinen Zuhörern. Nachdem er den Schülern den richtigen Takt vorgeklatscht und mit ihnen — ohne Mikrofon — gesungen hatte, waren auch sie Fans von Assumpcao. Was am Anfang wie ein Flop ausgesehen hatte, endete als ausgelassenes Erlebnis. (mpg)