Dienstag, 28. August 1990

Trochtelfinger Festival am See '90: Tanzshow, Beat und Poetisches zum Finale

Mit zwei Konzerten und einer Tanzperformance ging am Sonntagabend das zehnte Trochtelfinger Festival am Mägerkinger See zu Ende. Die Veranstalter freuten sich über die 1 500 zahlenden Besucher, die Anne Clark und die Reutlinger Band »Man of straw« hören und sehen wollten. Erfrischend war die Vorstellung der Tanzgruppe »Flek Chrudim«, die aus der Tschechoslowakei auf die Alb gereist waren.
»Jetzt gibt's am See sogar Go-Go Girls«, kommentierte etwas respektlos ein Festivalbesucher den temporeichen Auftritt der 20 Tänzerinnen und Tänzer aus der tschechischen Stadt Chrudim.
Mit leichtgewichtigem Disco-Gehüpfe hatten die 14- bis 20jährigen Mitglieder von »Flek Chrudim« wenig im Sinn: Choreographisch äußerst ansprechend und schön anzuschauen setzte die kurzfristig fürs Mägerkinger Festival engagierte Truppe die Musik vom Tonhand erstaunlich präzise und diszipliniert um. Im ersten Teil der »Flek Chrudim«Show zeigten die anfangs sehr aufgeregten Tänzer rhythmische Interpretationen verschiedener Musikstücke — hier reichte die Palette von Weichspül-Klängen bis hin zu zynischen Zappa-Titeln. Danach gab es eine tänzerische Darstellung des Themas »Beziehungen zwischen Menschen«. Den Zuschauern gefiel die Vorstellung der »Flek Chrudim«-Truppe sehr gut; sie forderten mehr Zugaben, als die Tschechen im Programm hatten.
Nicht nur die zahlreichen Festival-Macher hatten am Sonntagabend Ringe unter den Augen — man sah auch vielen Zuhörern an, daß drei Tage Party stressen. Der übers Festival im Blut angesammelte Alkohol ließ manchen Gast selig im größten Trubel auf dem Bretterboden schlafen. So tief, daß die Sanitäter bei einem Festivalbesucher Schlimmeres als den satten Vollrausch vermuteten, wegen dem sich der Schläfer vom Musikprogramm verabschiedet hatte.
Die Klänge der Reutlinger Band »Man of straw« hielten wach: Über 75 Minuten lang ließ das Quartett in klassischer Rockbesetzung ihren »hart emotionalen Gitarrenbeat« (Originalton der Gruppe) aus den Lautsprechertürmen schallen. Sänger Mario Bahlo kam mit Krücken auf die Bühne und mußte während des Auftritts auch sitzen — musikalisch hat sich sein schwerer Unfall allerdings nicht nachteilig ausgewirkt. Die früheren »Depro Beat« kamen bei den 800 Zuhörern im Musikzelt sehr gut an. Auch hier wollten die Besucher mehr als das reguläre Programm hören.
Fast euphorisch begrüßten die Rockfans dann um kurz vor 22 Uhr die britische Musikerin und Poetin Anne Clark, die mit ihrem Auftritt das zehnte Trochtelfinger Festival beendete. Ohwohl es um die Künstlerin, die vor sechs Jahren mit ihrer Platte »Joined up Writing« beim breiten Publikum großen Erfolg hatte, in letzter Zeit stiller geworden ist, ließen sich die Zuhörer schnell von der eigenartigen Atmosphäre des Auftritts gefangen nehmen.

Anne Clark spielte neben Titeln aus ihrer neuesten Platte »Abuse« auch älteres Hitmaterial. Stücke wie »Nothing at all«, »Killing time«, »Sitting Room« oder »Sleeper in Metropolis« fanden heftigen Beifall, die mittlerweile 1 500 Fans waren aus dem Häuschen.
Nach dem Konzert war am See das fast schon obligatorische Abschluß-Feuerwerk zu bewundern. Bis in den frühen Morgen räumten die Festival-Macher dann noch das Gelände rund um den Mägerkinger See auf — eine Arbeit, die keinem Spaß macht und trotzdem gemacht werden muß. Ob's eine Neuauflage des Festivals im nächsten Jahr gibt, steht noch in den Sternen. Schon manches Mal wollten die Macher vom Kulturverein das Handtuch werfen, aber die Freude an der Musik ließ sie immer wieder weitermachen. (mpg)

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In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...