Die Zeiten, als Mama sich stehbluesig mit Papa unter der flackernden Spiegelkugel vergnügte, sind vorbei. Aus den verkrampft locker plattenauflegenden Plaudertaschen von einst sind hochbezahlte Handwerker geworden, die aus zwei oder mehr alten Tanzscheiben mit Hilfe der Elektronik stets »brandneue« Titel produzieren.
Der »Weltmeister der Discjockeys« — der entsprechende Wettbewerb wird alljährlich von einem japanischen Elektronikkonzern durchgeführt, der auch einen fast ausschließlich von den DJ's verwendeten Plattenspieler herstellt — war am Donnerstagabend in der Reutlinger Diskothek »Black Mustang« zu Gast.
David Fascher, so heißt der momentan beste Plattendreher, kommt aus Hamburg und ist erst 20 Jahre alt. Er begann als Breakdancer und brauchte vier Jahre, um im Frühjahr deutscher und kurz darauf auch internationaler Meister zu werden. Davids Vater Horst war Besitzer des legendären »Star Clubs«, wo die Beatles ihre Karriere begannen.
Eine schwere Grippe hatte den Jüngling erwischt, für die zwei Shows am Abend päppelte ihn ein Arzt auf. Nur am Fieber lag's, daß das Versprechen der Plattenfirma, er würde die schwarzen Scheiben nicht nur mit den Fingern, sondern auch mit (fast) allen anderen
Körperteilen vor- und zurückdrehen, nicht eingelöst wurde...
Allerheiligen dagegen war schuld, daß bis 24 Uhr Tanzverbot in dem Tanzschuppen herrschte. Die Besucher standen sich die Beine in den Bauch, bis es kurz vor der ersten Show — Fascher bediente noch einmal, nach Mitternacht, seine zwei Plattenspieler, Mischpult und Cassettengerät — so voll im »Black Mustang« war, daß — Feiertag hin, Feiertag her — sowieso keine mit keinem mehr hätte tanzen können.
Das Ereignis dauerte keine zehn Minuten: Fingerfertig ließ Fascher Platten laufen, wiederholte Passagen, in dem er die Scheiben anhielt, blitzschnell zurückdrehte und wieder anlaufen liess. Zwei »Songs« (komponiert haben andere) ließen Fascher, sein schwarzhäutiger, eingeschlafen rappender Begleiter namens »Africa Real« und eine ihre Schritte mehr andeutende, voluminöse Tänzerin auf die Anwesenden los. Dann war's auch schon wieder vorhei.
Nur Ignoranten konnten nach der Vorstellung nicht festmachen, was den »Weltmeister« aus den Heerscharen von DJ's heraushebt, die so manchem tagtäglich per Radio, Glotze und Video klarmachen, daß auch das Klauen von fremdem geistigem Eigentum als kreative Tätigkeit verstanden werden kann.
Ach so: Modisch lag das Trio mit umgedreht aufgesetzten Baseball-Mützen, Sweatshirts mit Aufdrucken besagter Elektronik-Firma und Turnschuhen der »richtigen« Marke genau im Trend der Szene. Dass auf dem Tanzboden der 90er Jahre öfters ein »Hit« wie der andere klingt, demonstriert nicht etwa fehlende musikalische Potenz, sondern ist, so kann ein unbeteiligter Beobachter der tanzenden Discowelt schließen, kühl berechnet.
Schließlich muß der »Beat«, der Rhythmus, stimmen: Nur kein Durcheinander, nur nichts Vertracktes, was die stampfenden Beine durcheinander bringt. Liegt das Tanzvolk mit verknoteten Gliedern am Boden, ist der »Deejay«, der Mann, der die Abtastnadeln in den Plattenrillen reiten läßt, um sein täglich Brot gebracht.
Daß diese Musikmacher ohne herkömmliche Instrumente immer dieselben fünf Dutzend 70er-Jahre-Titel verwenden (weil halt gute Nummern nicht wie Sand am Meer gemacht wurden), ist kein Nachteil: Der Fan erkennt die James-Brown-Trommel, das Riff von »Sly and the Family Stone« und die dazugemischte Curtis-Mayfield-Phrase spätestens im zweiten Takt, fühlt sich hip - und hoppt erfreut durchs Discoland. Der Discjockey freut sich auch, weil dann sein »Marktwert« steigt, die Plattenfirma freut sich, weil die Kasse klingelt und mal wieder die kreative Innovationskraft bewiesen ist. Der Diskothekenbesitzer freut sich sowieso, das gehört zu seinem Job. (mpg)
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