Mittwoch, 10. Oktober 1990

Neil Young: Hey hey, my my

Die Szenerie ist absurd. Ein elegant gekleidetes Model leckt Parfüm vom Boden auf, Whitney Houston löscht Wacko Jacko's brennende Haarpracht mit Limonade. Ein älterer Mann mit strähnigem Haar und wachen Augen schiebt grinsend eine Bierdose ins Bild.
»Sponsored by nobody«, ist zu lesen.
Über 30 Jahre ist der Rockmusiker Neil Young im Geschäft, hat unzählige Bands gegründet und wieder verlassen, war ganz oben und fast ganz unten; heute ist der Querdenker 45 Jahre alt, im wesentlichen sich selbst und keinen Firmen gegenüber verantwortlich. Sein 23. Album, »Freedom« steht gerade im Neuheiten-Regal der Plattenläden.
Im Gegensatz zu anderen Weggenossen der Hippie-Ära ist Young allerdings weder fetter, noch gesetzter geworden. »C, S, N & Y ist einfach ein antiquiertes Konzept, so langweilig wie heute die Rolling Stones. Es ist unsäglich öde, diese alten Bands zurückkehren zu sehen. Was haben sie denn zustande gebracht in den letzten zehn Jahren?«, meint Young zu dem Revival der 60er- und 7oer-Gruppen.
Neun Platten hat Young in den 80ern gemacht; »Hawks and Doves« (1980) bezog sich mit klaren politischen Statements auf die amerikanischen Präsidentschaftswahlen, »Re-Ac-Tor« war eine Anti-Kernkraft-Platte mit leisen Folk-Tönen und dem typischen Young-Rockstil, »Trans« (1982) eine Computer-Platte, »Everybody's Rockin« ein Jahr später hedeutete Youngs Rückkehr zu bodenständigem Rock 1985 erschien »Old Ways« — reinrassige Country-Musik war zu hören. Dann kam mit »Landing an water« sein »sperrigstes, unzulänglichstes, und lautestes Album seit langem« (Stereoplay), auf »Life« wurde er von seiner alten, geliehten Begleitband »Crazy Horse« unterstützt.
»This note's for you« brachte neben dem Video, das am Anfang heschrieben ist, großorchestrale Arrangements und jazzige Bläsersätze.
»Systematisch habe ich die Struktur des Plattenverkaufens, des Erfolgs, auseinandergenommen. Die Leute wollen nicht, daß ich das jetzt tue? Also tu ich's erst recht! Bis alle Erwartungen im Eimer sind, bis keiner mehr weiß, was mit dir und überhaupt los ist. Bis sie dich verhöhnen: >Ha, deine nächste Platte wird sicher eine Oper sein!< Dann sind sie fix und fertig, dann hast du den ganzen Scheiß aus dem Weg geräumt und kannst wieder eine richtige Platte machen. «
Young's Karriere begann in der Folk-Szene New Yorks, ungefähr 1963. Er
hatte Stephen Stills getroffen und spielte bei den »Mynah Birds«, die von Rick James geleitet wurden. Kurze Zeit später gründete Young in Los Angeles zusammen mit Stills, Richie Furay und Bruce Palmer die »Freeway Traffic Jam«, aus der »Buffalo Springfield« hervorging. Die Mischung aus Folk, Country und Rock kam an, bis zur Trennung 1968 machte die Band fünf Hitsingles und drei LP's.
Während der Produktion zu seiner ersten Solo-Platte lernte Neil Young im Winter 68 /69 die Westcoast-Band »The Rockets« kennen. In »Crazy Horse« umgetauft, wurden Ralph Molina (Schlagzeug), Billy Talbot (Baß) und Danny Whitten (Gitarre) des Meisters liebste
Begleitformation. Neben seinen Solo-Aktivitäten bildete Young zusammen mit Graham Nash, Stills und David Crosby die Supergruppe »Crosby, Stills, Nash & Young«, auf deren kürzlich erschienenen Revival-Platte er auch mitmacht. Nach der Live-Dokumentation »Four Way Street« trennte sich Neil Young von seinen drei Kollegen — er vertrug sich nicht mit Stephen Stils.
Noch mit Stills, »Crazy Horse«, Nils Lofgren und anderen entstand das Meisterwerk »After the Goldrush«. Mit dieser Platte katapultierte Young sich selbst in die erste Rock-Liga. Mit »Harvest« und der Single-Auskopplung »Heart of Gold« erreichte Young einen kommerziellen Karriere-Höhepunkt. »Joumey of the Past« bewältigte Youngs musikalische Vergangenheit, »Time fades away«, 1973 mit den »Stray Gators« aufgenommen, war wie die Konzerte »melodisch uninspiriert und instrumental reizlos« (Sounds).
In »Tonight's the night« machte Neil Young den Heroin-Tod seiner Freunde Danny Whitten und Bruce Berry zum Thema, »Zuma« (1975) war ein weiterer Höhepunkt in Young's Schaffen. Mit Stills spielte Young in den folgenden Jahren zusammen, ebenso mit Emmylou Harris und Linda Ronstadt (»American Stars 'n' Bars«); das Dreier-Set »Decade« hielt die siebziger musikalisch fest.
Mit dem Live-Doppelalbum »Live Rust« und dem Film »Rust never sleeps« gelang Young zum Ende der 7Oer noch einmal ein großer Wurf. Heute singt Neil Young viel, viel bissiger, als es seine alten Kollegen, wenn üherhaupt, jemals getan haben, über um sich greifende Drogenprobleme, Umweltschutz (»Save the planet«) und die Folgen der Freiheit: »Rockin' in the free world« heschäftigt sich ziemlich sarkastisch mit der Gegenwart.
Für die nahe Zukunft sieht Young, wie so viele andere, ziemlich schwarz: »Amerika ist fertig. Wir haben Drogenprobleme, AIDS, all diese furchtbaren Prohleme. Das sind die eigentlichen Produkte von Freiheit und Kapitalismus . . . die Zukunft gehört den Obdachlosen. Je mehr Freiheit, desto mehr Obdachlose«. (mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...