Das Gastspiel der amerikanischen Jazzvokalistin Betty Carter zusammen mit ihrem Trio in Tübingen war ein bewegendes musikalisches Erlebnis. Mehr als 200 Leute hörten der Sängerin im proppenvollen Saal des »Deutschamerikanischen Instituts« zwei Stunden lang konzentriert zu und feierten sie am Ende mit minutenlangem begeistertem Applaus.
Schon die ersten beiden Stücke des Konzerts, nur von den jungen Begleitmusikern der 51jährigen gespielt, zeigten die Klasse der Musiker. Ohne viel Aufhebens stieg »Betty Bebop« — den Spitznamen hat die kompromißlos unkommerzielle Sängerin wegen ihrer Anfänge bei Thelonious Monk, Miles Davis und anderen in den fünfziger Jahren bekommen - dann mit leisem Scat-Gesang ein. Aus den Silben wurden Worte: »Laß doch deine Finger von dem Apparat« war die musikalisch reizvoll verpackte Botschaft an den Mann am Mischpult, der während des Konzerts noch Klangeinstellungen durchprobieren wollte.
Souverän, gelassen und absolut bei der Sache sang die uneitel wirkende Carter; ihre bestechende Technik stand immer im Dienst der musikalischen Aussage. Zwar gab es von der mehrfach Ausgezeichneten auch schnelle, treibende Nummern zu hören — am packendsten war sie jedoch, wenn sie swingende oder bluesige Balladen mit dynamisch fein abgestufter Stimme sang.
»You go to my head« sang sie da, oder »I cry tone«. Im Gegensatz zu vielen anderen Jazzvokalistinnen benutzt Betty Carter die Texte ihrer Songs nicht nur zur rhythmischen Strukturierung der Melodielinien. Mit viel Ausdruck interpretiert sie die Stücke, scheint sich mit den Aussagen zu identifizieren: Das Publikum leidet mit, wenn sie in »30 Years« von einer langen Beziehung singt, die brüchig geworden ist.
Die Sängerin versteht es auch, kraftvoll und trotzdem leise zu phrasieren — ein Kunststück, das nicht viele fertigbringen. Dazu kommt doch ihr überragendes improvisatorisches Talent, das sie immer wieder zu spontanen Duetten mit ihrem 19jährigen Bassisten Jon Roland Ariel und dem sehr feinfühlig agierenden Schlagzeuger Clarence L. Penn verleitete.
Die beiden folgten dem sanften Dirigat ihrer Chefin genauso flexibel wie der exzellente Pianist Cyrus A. Chestnut, in dessem Spiel die Bop-Tradition genauso gegenwärtig ist wie der Blues. Mit kleinen Handbewegungen zog Betty Carter das Tempo an, kennzeichnete Rhythmuswechsel oder feuerte ihre Begleiter an.
Mit ihrer konzentrierten Präsenz und ihrer rauchigen, die tiefen Lagen bevorzugenden Stimme schaffte sie es, den nüchternen »d. a. i.-Saal zu einem intimen Jazzclub zu machen. »Ich will meine Zuhörer in allererster Linie mit meiner Musik berühren«, sagt Betty Carter. Kein Zweifel: Das hat sie auch in Tübingen geschafft. (mpg)
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