Riesenapplaus gab's für Deutschlands schönste TV-Föhnfrisur in der vollbesetzten Nürtinger Kreuzkirche: Harald Schmidt, Kabarettist und erfrischend frecher Fernsehmoderator, hatte in seiner Heimatstadt zur Programm-Premiere geladen. »Schmidtgift heilt nicht — aber lindert« heißt der neue kabarettistische Rundumschlag. Gut eineinhalb Stunden lang versprühte die schnelle Schnodder-schnauze Witz und Spott — über alles und jeden.
Der Kabarettist machte sich über dilettierende Humorbolzen (»Wer schützt uns vor 40 Minuten lang unheimlich gut erzählten Loriot-Sketchen?«) ebenso lustig wie über Bademäntel: »Die sehen aus wie Steppdecken, diese Totaloperationentschädigungsmäntel«.
Der Mann mit dem Lieblings-Schwiegersohn-Gesicht und der rasend schnellen Klappe präsentierte Intimes aus dem Leben vergeistigter »Zeit«-Redakteure auf »Schloß Alzheim, fernab vom Treiben gewöhnlicher Menschen«, und führte sein wieherndes Publikum »ständig an die intellektuelle Leistungsgrenze — von beiden Seiten«.
»Wundervolle Tage in Cliche« beschrieb er, in einem Hotelzimmer, wo die »Bettwäsche und die Handtücher Geschichten aus längst vergangenen Zeiten erzählen«. Von seiner jungen Liebe in Frankreich muss er sich allerdings bald verabschieden: »Du bist so jung, aber daheim stirbt der Wald!«
In der aus seiner »Schmidteinander«-Fernsehshow bekannten Phrasierung eines markigen 50er-Jahre-Moderators berichtete der Ex- Nürtinger vom feinen Unterschied zwischen »Mytho- und Mykologie« und von seiner Leidenschaft, in fremden Badezimmerschränkchen zu wühlen. »Da gibt's oft Überraschungen bei den Tampongrößen«…
Schmidt ließ den »sportlichen Satz des Jahres« hören (»Vom Feeling her hab' ich ein gutes Gefühl« — Urheber: Fußballer Andi Möller), und stieg mit der wahrhaft heldischen Sage vom »alten Psoriasis und seinen Töchtern Akne und Migräne« in die Tiefen humanistischer Bildung.
»Ich würde nie Witze machen über Leute, die an Tagen mit ungeradem Datum kein rechtsdrehendes Schweinefleisch essen dürfen«, versicherte Schmidt und führte jene Germanen vor, die davon ausgehen, dass Nicht-Deutschen jede grammatikalische Ordnung fremd ist.
Der Kabarettist machte sich auch über das , »Kabarett Palmwedel« lustig: Eifrige Brettl-Besucher erkannten in dem soziopädagogisch verleiteten Stück »Bruder Kemal« (Schmidt: »Mit echtem Türken, engagierter Waldorfschülerin und einem alten Nazi!«) sicher das eine oder andere Dilettanten-Gastspiel wieder.
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 29. Oktober 1992
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