Samstag, 3. April 1993

Hanns Dieter Hüsch: Ohne Pause komisch

Einen hinreißenden kabarettistischen Marathon gab's zum Abschluß der »18. Reutlinger Mundartwochen«: Hanns Dieter Hüsch präsentierte sein aktuelles Programm "Feine Komödien - Feine Tragödien" in der ausverkauften Listhalle. Rund zweieinhalb Stunden lang riss der bekannteste literarische Kabarettist Deutschlands im Schnellfeuer-Tempo so ziemlich jedes Thema an.
Da fühlten sich wohl einige Besucher überfordert: »Die Leute haben sich beschwert, daß es zu laut oder zu leise ist — und überhaupt spräche ich viel zu schnell«, berichtete Hüsch nach der Pause. Er verstehe das gar nicht »es lachen doch immer ein paar, die kriegen die Pointen doch offenbar mit«.
Im übrigen, »mehr will ich gar nicht sagen, ich bin ja gern hier; möchte auch wiederkommen«, solle man doch einmal »mit List und Tücke, wie die Halle auch heißt«, den Reutlinger Musentempel akustisch überholen…
Wer mitkam, lachte über die absurden gedanklichen Wendungen und aberwitzigen thematischen Hakenschläge Hüschs. Von der Frühgymnastik ging's über die deutsche Abkürzungswut flugs zu seiner Person: »Meine Frau sagt, ich sei defätistisch. Was ist das? Kommt wahrscheinlich aus dem Arabischen, von »Effendi«, dabei bin ich gar nicht so polyglott wie ich aussehe«.
Der Meister der Überleitungen kam dann ohne Umschweife auf moderne Badezimmerarmaturen, verglich Einhebel-Mischer mit einem Computer-Joystick — und schaltete unvermittelt wieder um: »Ein Textstück wie von James Joystick« kalauerte er.
Ja, Flachwitze dürfe man sich im gereiften Alter schon erlauben. »Begann als Tucholsky-Schüler, endete in seichter Unterhaltung, haha«.

Hüsch machte sich über Beschilderungen lustig (an Telefonzellen steht immer »Außer Betrieb — es könnte Leben retten«) und darüber, daß alles in den Läden erst bestellt werden müsse. »Da ist sie wieder, die gefürchtete niederrheinische Assoziationskraft«, lästerte Hüsch, als er die Sand-Farbe einer Badezimmermatte erwähnt hatte, sie eher als "ein gebrochenes Ocker" bezeichnen wollte, und als ihm hinterher, »wie bin ich eigentlich draufgekommen«, TV-Verbrecherjäger Kojaks Assistent »Crocker« einfiel.
Wie lange er ein Ei »eiweißgerecht und doteradäquat« koche — das hinge vom Umfang des Eis und dem Hochwasserstand des Niederrheins ab. Ach ja, und so schreckliche Probleme beim Krawattenknotenknüpfen habe er, und überhaupt, »Gesund leben is nix«: »Die am gesündesten leben, sind am meisten krank. Is ja logisch — je gesünder einer lebt, desto anfälliger wird sein Körper, wie bei einem Rasserennpferd, können Sie sich mich in einem Fitneßstudio vorstellen?«
Die Zuhörer erfuhren den Zusammenhang zwischen der rheinischen Aussprache von »Tante Maria« und dem Städtchen Tamaria in der Bucht von Genua und auch, daß Hüsch morgens nörgle, ohne Grund, »gewissermaßen Nörgle pour Nörgle«, abends aber sich immer nur leise aufrege.
In einem wahrhaft wahnwitzigen Szenario schlug Hüsch vor, in den Betrieben einer Stadt nur noch jeweils ein Konsumgut zu produzieren. »Da muß man dann drei Tage vorher los, wenn man in Nürnberg ein Ei kaufen will, im Radio wird dann ein 360-Kilometer-Stau auf der A 1 bis 57 gemeldet«.
Hüsch kalauerte im Vergleich zu früheren Programmen mehr und sang weniger Lieder. Seine Uralt-Orgel mit dem Wimmer-Vibrato spielte er eigentlich viel zu wenig — ist er doch der »Jazzer« unter den Kabarettisten: Seine Spieltechnik ist selbsterfunden, Akkorde und Melodien klingen schräg in zerrissen gedachten Rhythmen, die Phrasierung ist unverwechselbar.
»Lobet den täglichen Spaß und das tägliche Kopfzerbrechen, lobet den Gott Gelassenheit« — gegen Ende des Reutlinger Gastspiels predigte der Humanist Hüsch wider Engstirnigkeit, Intoleranz und Menschenverachtung. »Das Phänomen«, ein leises, intensives Plädoyer zur Brüderlichkeit, hat Hüsch schon vor etlichen Programmen geschrieben. Traurig, daß der Kabarettist diesen wie die Faust aufs Auge in die rassistische Jetztzeit passenden Text wieder ausgraben mußte.    mpg

Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 03. April 1993

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