Später, als er durch seine Rolle in dem jamaikanischen Kult-Film »The harder they come« (1972) endgültig ein weltweiter Star geworden war, ließ er schwer kommerziellen Rock und noch mehr seichten Pop in seine Platten einfließen. Seit zehn Jahren beschäftigt sich der zum Islam konvertierte Sänger mit der sanften Stimme zunehmend mit der Musik Afrikas und Südamerikas.
Überraschungen waren also bei seinem Konzert in Tübingen — übrigens das einzige in Deutschland — zu erwarten. Und in der Tat: Cliff präsentierte seine Musik in einem sehr aktuellen Gewand. Die Titel seiner neuen Platte »Breakout« (Line records) spielen mit den Disco-Rhythmen des »Ragamuffin Reggae« ebenso wie mit Samba-Elementen und diversen afrikanischen »Roots«.
Schade, dass die in Tübingen bestens bekannten Musiker von »Ara Ketu« nur auf der Platte zu hören sind. In die Mensa Morgenstelle kam Cliff mit einer wahrlich nicht schlechten, aber letztendlich doch nur solide aufspielenden Band. Die brachte neue Knüller wie den Roots-Reggae »Roll an rolling stone« oder dan Tanzboden-Ohrwurm »Baby let me feel it« in derselben Präzision an die rund 1 300 Besucher wie die Hits von Jimmy Cliff.
Alle seine Riesenerfolge hat er am Freitag gesungen: »Reggae nights« zum Beispiel, »Many rivers to cross« in einer sehr souligen Version — und »Vietnam«, so, als ob's das absolute Pflichtprogramm wäre.
Diejenigen Besucher, die den Star schon eine Weile kennen, vielleicht auch noch seinen spektakulär guten Auftritt im Tübinger Schloßhof vor sechs Jahren miterlebten, reagierten vergleichsweise kühl. Im Gegensatz zu früheren Jahren, wo hinter Platten und Konzerten bei Cliff unterschiedliche Konzepte steckten, hörten die Konzertbesucher diesmal zwei Stunden lang weitgehend identische Reproduktionen der Tonträger-Versionen.
Klar, selbst dann ragt Cliff auch im 24sten Jahr seiner Karriere noch weit über das Heer der Reggae-Künstler hinaus. Aber wer weiß, wie locker und abwechslungsreich der Mann live spielen kann, dem fiel das Jubeln schwer.
Schwerer jedenfalls als den vielen jungen Fans zwischen 13 und 20. Die beklatschten den »Samba Reggae« ebenso wie den stampfenden Titelsong der aktuellen Platte »I'm a winner«, waren von der kunterbunten Mischung aus Rock, Pop, unterschiedlichen Reggae-Stilistiken und den Afro- oder Samba-Sahnehäubchen überaus begeistert.
Weiter hinten standen Fans in gesetzterem Alter und hielten sich oft die Ohren zu. Die nervösen »Hip Hop Raganiuffin«-Rhythmen waren wohl auch für einen »Opa« so um die 45 gerade noch auszuhalten. Unerträglich (und wirklich gesundheitsschädigend) war das, was aus der Verstärkeranlage kam.
Der Mann am Mischer war wohl schon lange taub — er regelte nämlich die Gesamtlautstärke bis an die Grenzen des Verträglichen und verstärkte die mittleren Frequenzen (die, auf die unsere Ohren besonders empfindlich reagieren) zusätzlich. Die körperlichen Schmerzen ließen erst im hinteren Teil der Mensa nach. (mpg)