Dienstag, 28. September 1993

Otfried Fischer: Schwer ist leicht was

Einen kabarettistischen Gewaltakt erlebten die Besucher der Reutlinger »Färberei« am Sonntagabend: Zwei Stunden lang wechselte der schwergewichtige bayerische Kabarettist Ottfried Fischer im Eiltempo pausenlos plappernd Rollen.
Die Esoteriker von der »Anti-Strauß-Liga«, den erfolglosen Regisseur, die frustierte Femsehredakteurin, den pressegeilen Gastronom - der dicke Ossi kennt sie alle, das macht sein Status als Stammgast im Edelnudelimbiß.
Ausgehend von der Figur des einsamen Handelsvertreters Ossi, dessen Leben sich beim »Italiener Boccaccio« abspielt, liefert Fischer ein Kaleidoskop all jener Sinnverwirrungen, die mit einer guten Portion bösen Willens nicht nur in der feinen Gesellschaft zu finden sind.
Der Kabarettist, der als Franz-Josef-Strauß vor sechs Jahren problemlos den österreichischen Bundespräsidenten veralbern konnte, zeigt auch in "Schwer ist leicht was" vor allem sein enormes parodistisches Können. Den schwäbelnden Kernphysiker trifft er genauso echt wie rheinländische Rentner, die in der »Verena von Arena« halbe Opernaufführungen verquasseln.
Mehr auf den schnellen Lacher als auf feinziselierte Pointen ist er aus, der Fischers Ottfried, dem sowieso »alles wurscht is, weil i wos anders sogn wollt«. Die 400 in der »Färberei« amüsieren sich prächtig über die vordergründigen Scherze und die ständige Grimassen-Komik.
»Kabarettisten sind die bezahlten Knüppelehen des Publikums, das damit die Nichtanwesenden verhaut«, hat der Berliner Rolf Linnemann, ein Kollege Fischers, einmal die Brettl-Künstler definiert.
Die Typen-Show Ottfried Fischers gibt, hinter all' dem platten Klamauk leider viel zu selten, auch den Zuhörern die Möglichkeit, sich selbst eins draufzugeben. Als Fischer in der Rolle eines Rechtsnationalen übelste Witze über Asylanten zum Besten gibt, lachen seine Reutlinger Gäste zunächst laut auf — und werden dann ganz leise. Aha.
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 28. September 1993

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