Mittwoch, 6. Juli 1994

Margareth Menezes: Mitreißender Samba-Reggae

Die Dame aus Salvador da Bahia hätte starkes Kopfweh und sei etwas indisponiert, war vor dem Konzert zu hören. Davon war nachher im vollen Tübinger »Foyer« überhaupt nichts zu spüren: Margareth Menezes und ihre spielfreudige Band brauchten noch nicht mal eine halbe Stunde, um. das Publikum auf Touren und zum ziemlich hemmungslosen Tanz vor der Bühne zu bringen.

Brasilianer waren bei dieser ersten atrobrasilianischen Nacht im Rahmen des »9. Internationalen Tübinger Festivals« vergleichsweise wenige da - das machten die vielen deutschen Fans im Publikum aber locker wett. Kaum einen hielt es bei dem mitreißenden Dauer-Geklapper auf den vier Buchstaben -- und wer zu lange sitzen blieb, hatte keine Chance auf Sichtkontakt zur Bühne.

Dort flitzte das Energiebündel Menezes mit eleganten Schritten tanzend von einer Seite zur anderen, bekam mühelos den Kontakt nicht nur zu den ersten Reihen und lieferte eine dampfende zweieinhalhstündige Show ab.



Wer nur oberflächlich hinhörte, konnte wenig mehr als »den immer gleichen Wackel-Groove« finden, wie es eine Zuhörerin, die nicht gerade zu den Härtefans der »Musica Popular Brasileira« gehört, kurz und bündig formulierte. Wer sich aber auf den Samba-Reggae von Margareth Menezes und Co. einliess, der konnte innerhalb der sich wiederholenden Muster quicklebendigem und in höchstem Masse dynamischen Rhythmus-Leben zuhören, wie es so spannend entspannt wohl nur brasilianische Musiker zustande bringen.

Speziell Jorge Brasil und Gihba Conceicao, die beiden Schlagwerker der Band, verzahnten karibische und brasilianische Rhythmusmuster in aberwitzigen Tempi miteinander, ließen zusammen mit einem jungen Bass-Meister namens Fernando Nunes Araujo ein mitreissendes Gebrodel entstehen, das nicht immer Lautstärke brauchte, um zu kochen — und von virtuosen Könnern gemacht war.

Als Menezes Bob Marleys »No woman, No cry« in einer sehr eigenen Version anstimmte, ließ beispielsweise Araujo auf dem sechssaitigen Edel-Bass ständig Neues hören, ohne seine Begleiterfunktion zu vernachlässigen. Der Mann mit Hip-Hop-»Sneakers« und cool-angesagter »Giants«-Pudelmütze variierte die harmonisch nicht gerade komplizierten Baßlinien rhythmisch raffiniert, wiederholte sich kein einziges Mal - und grinste nach jedem neuen Lauf spitzbübisch ins Publikum, als ob er sich versichern wollte, dass auch jeder seine Tricks mitbekommen hatte...

Am stärksten - natürlich - nahm die Chefin selbst die Tübinger gefangen. Die hatte bei diesem Konzert keinerlei Probleme mit der Konzentration des Publikums. Die Hörer folgten ihrem Programm - Bekanntes und Neues vom aktuellen Album »Luz Dourada« - begeistert und zunehmend verschwitzter. Und am Ende des langen Zugabe-Blocks bot sich vor der »Foyer«-Bühne ein Bild, wie man es von den Open-Air-Festen in Tübingens Zentrum kennt: Ein Meer aus hochgereckt schwenkenden Armen verabschiedete Margareth Menezes. Sie wird wiederkommen wollen, ganz sicher. (mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...