Original-Festival-Feeling: Vor dem Kassenhäuschen des Tübinger »1. Kulturzelts« versinken die Wartenden langsam im Schlamm, aus einer dunklen Ecke am Rand des großen Zirkuszelts ziehen würzige Rauchschwaden vorbei — und drinnen bearbeitet schon einer seine Wanderklampfe, als ob er's Bob Dylan nachmachen wollte.
Tut er auch: Genau wie das große amerikanische Vorbild betrachtet Hans Söllner, 40, die Gitarre nur als Beiwerk — »damit ich keine Gedichte erzählen muss«. 2 000 sind gekommen, seine Geschichten ums immer wiederkehrende Zentral-Thema »Kiffen« zu hören, seiner plakativ platten, manchmal auch schlichtweg dumm und unüberlegten Kritik am Staat, der Kirche und den »Zuständen« überhaupt zuzuhören.
Seine — ohne große Werbung, im Prinzip ohne Radio-Promotion erfolgreichen Songs - streut der schlaksige, mit verfilzten Rasta-Locken ausgestattete Sänger »auflockernd« ein. Will heissen: Die meiste Zeit redet Söllner nur.
Wie ein Wasserfall. Ein »running gag« ist die Sache mit der »geringen Menge« — Haschisch natürlich — bei ihm zu Hause und überhaupt. Wie Kinder lachen viele, als der »wilde Hund von Reichenhall« davon erzählt, dass er manchmal auch tagelang »nichts rauche« — und später dann alle seine Kumpels zum »Geringe-Mengen-Fest« einladen könne. Und selbst der nur sehr zweifelhaft humorvolle Satz »I muss scho' immer a bissel mehr bröseln, wega da Kinda« wird heftigst beklatscht.
Seine Attacken gegen die Kirche und den Staat ebenso. Nach -zig Gerichtsprozessen und vielen Bussgeldern ist er aber vorsichtig geworden. »Wird der Papst eigentlich gewählt, oder was?« fragt er — und erntet schon Beifall alleine mit der Art, wie er das Wort »Papst« mitleidtriefend ausspricht.
Fast nur Fans des bayerischen Barden sind da. Der Applaus klingt dankbar: Söllner spricht wohl auch in Tübingen das aus, was sein Publikum nicht formulieren kann. »Der traut sich was«, sagen viele. Dabei gibt der Liedermacher offen zu, dass »alles, was passiert ist, mich nur bekannter gemacht hat«.
Dagegensein und exhibitionistische Individualität als glänzende Geschäftsidee — in der Popgeschichte hat's schon immer funktioniert. (mpg)
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