Samstag, 14. Oktober 1995

Dino Saluzzi: Magie des Tons

Gleichberechtigt und sehr vital, selten exzessiv, dafür um so mehr an der schönen Magie feinabgezirkelter Tonreihen interessiert: Das »Dino Saluzzi Trio« um den argentinischen Bandoneon-Spieler brachte am Donnerstagabend im restlos ausverkauften Tübinger »Sudhaus«-Saal eine sehr intellektuelle Variante des ausufernden Themas »Jazz« zu Gehör.

Die Frage, wie die gehörte Musik einzuordnen ist, bleibt zweitrangig. Ohne Frage war es ein kammermusikalisches Ereignis, mit über weite Strecken auskomponierten Teilen, argentinischer und brasilianischer Musik und europäischer Tradition oft näher als den afroamerikanischen Jazz-Wurzeln.

Entscheidend ist aber, wie Dino Saluzzi und seine Mitmusiker Anthony Cox (»fretless«-Elektrobaß sowie Kontrabaß) sowie Vibraphonist David Friedman ans Werk gingen.

Behutsam, sehr gut aufeinander hörend, vor allem rhythmisch recht raffiniert spielten die drei — den Löwenanteil hatte David Friedman. Der völlig unprätentiös auftretende Musiker — erst vor wenigen Monaten auch bei den Nürtinger Jazztagen in der Region zu Gast — bediente auch trickreich und mit viel Sinn für ausgefallene Rhythmusmuster diverse Klopf-Geräte.

Cox schien den Puls der vor allem eben rhythmisch komplizierten Stücke nicht immer erfühlen zu können; bei einem Stück mit einer rhythmischen Samba-Reverenz schwankte sein Zeitgefühl hörbar.
Dino Saluzzi selbst — hierzulande vor allem durch die beiden Platten mit Wolfgang Dauner und Charlie Mariano, »One Night in '88« und »Pas de Trois«, bekannt — verlor keine Worte, sondern entlockte seinem Bandoneon (für Nicht-Wisser: Das ist eine »Quetschkommode«) mit fast versteinert wirkender Mimik die feinsten Dynamik- und Tonnuancen.

Fast schien es, zum Beispiel im tags zuvor komponierten »Winter«, als ob die metallenen Zungen seines Instruments die Funktion seiner Stimmbänder übernommen hätten. So sanglich, so »menschlich« variabel und emotional gefärbt beherrscht er das Instrument.

Die Reaktion der Gäste dieser "Jazz im Prinz Karl"-Veranstaltung kann man sich denken: Gespannte Aufmerksamkeit während, donnernder Applaus nach den Stücken. (mpg)

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In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...