Einen exzellenten Ruf hat Joanne Brackeen, kalifornische Pianistin, in der Jazzszene. Von Fachleuten wird sie auf eine Stufe mit Herbie Hancock, Mc Coy Tyner und anderen Klavier-Gigangen gestellt. Daß es bei ihrem Tübinger Konzert — vom »Jazz im Prinz Karl« präsentiert — im »Sudhaus« vor kaum sechzig Zuhörern lediglich bestenfalls Mittelmäßiges zu hören gab, lag nur zum Teil an der 57jährigen Musikerin.
Ihre beiden Begleiter — kurzfristig engagiert, weil sowohl Star-Bassist Eddie Gomez wie auch dessen Ersatz in Tübinger Sudhaus-Konzert nicht auftreten konnte, verpatzten nämlich vor allem in der ersten Hälfte des zweistündigen Jazzkonzerts so ziemlich alles, was ein Profi falsch machen kann.
Bei der spannend arrangierten Neuinterpretation des Standards »No Greater Love« dachten Paolo Cardozo am Kontrabaß und Peter Perfido in anderen Tempi als die Chefin — ein heilloses Durcheinander war die Folge.
Im Brackeen-Stück »Picasso« — hier hat Joanne Brackeen abwechslungsreicher als Chick Corea in seinem Stück »Spain« Folklore-Themen verarbeitet — nervte Perfido mit den immergleichen rhythmischen Klischees. Und Bassist Cardozo war manchmal in ein und demselben Stück hinter dem Groove, manchmal davor — entscheiden konnte er sich selbst offenbar nicht.
Die Chefin selbst spielte mit zugegeben brillanter, atemberaubender Technik, verließ sich aber ebenfalls viel zu oft auf gängische Klischees — ganz besonders altbacken und konturlos klang ihr Spiel im Blues »Power-Talk«.
Den durch Platten und Konzerte der Vergangenheit hochgesteckten Erwartungen wurde Joanne Brackeen nur einmal gerecht — und da hatten ihre beiden mediokren Begleiter Spielpause: Virtuos und gleichzeitig mit sehr viel Soul- und Bluesfeeling improvisierte die Amerikanerin über »Body & Soul«, ließ überm zerpflückten harmonischen Grundgerüst ein völlig neues Stück entstehen, bevor sich daraus plötzlich wieder das alte Thema entwickelte. (mpg)
Montag, 27. November 1995
Joanne Brackeen: Ziemlich mittelmäßig
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