»Was hat denn das noch mit Musik zu tun?« fragte — rein rhetorisch — die junge Begleiterin des Autors beim »Coolio«-Konzert im Ludwigsburger »Forum« am Schloßpark.
Den momentanen Hit des Schnellschwätzers aus Los Angeles, »Gangsta's Paradise« mit der Mitsing-Melodie, hatte sie schon im Radio gehört. Und jetzt sah sie den Rap-Star ständig im Schnellschritt von einer Bühnenecke zur anderen laufen und versuchte, aus dem wüsten und hemmungslos aggressiven Gebrüll, das Coolio im Verbund mit zwei Genossen produzierte, irgendetwas Definierbares herauszuhören.
Pustekuchen: Aus dem überlauten, chaotischen, immer dissonanten und alles andere als rhythmisch eleganten Soundmatch stach nichts hervor, was die Köpfe oder Herzen der Zuhörer hätte bewegen können.
»Sagt jaa, sagt jaa, hebt die Arme in die Luft« war — wörtlich übersetzt — die einzig verständliche Botschaft des erfolgreich bösen US-Buben an die schwäbische Pudelmützen- und Technostiefel-Teenies im weitgehend locker, aber fast ganz gefüllten »Forum«.
Nur ganz vorne, im Zentrum des Krach-Orkans, gingen die jungen Fans mit. Ein paar mußten mit Kreislaufproblemen von Sanitätern aus dem Gedränge gezogen werden. Die meisten standen und saßen aber mit mehr oder minder gelangweilten oder genervten Gesichtern ihre über vierzig Mark teure Eintrittskarte ab.
Der durch viele HipHop-Platten und -Konzerte gewachsene Verdacht des Tonspions wurde von dem rundum enttäuschenden Coolio bestätigt: Die meisten Schnellsprecher und ihre Computermusiker-Helfer mögen in akribischer Studio-Bosselei vielleicht ab und zu Text und — im besten Fall einfallsreich geklaute — Musik zu einer ansprechenden Einheit verbinden können; live hat das bei Konzerten im Ländle — mit Ausnahme der »Jazzkantine« und der Allianz zwischen den »Fantastischen Vier« und »Disjam« vielleicht - noch nie geklappt.
Die bessere, wenn auch nicht gerade hinreißende Musik lieferten an dem langen und wegen der großzügigen, nicht durch irgendwelche Bühnenumbauten gerechtfertigten Pausen auch recht zähen Abend die Vorgruppen: »LV«, der ja auch auf »Gangsta's Paradise« singt, lieferte 20 Minuten klassischen Soul.
Wie es das Namenskürzel vielleicht schon ahnen ließ, entpuppte sich das Schwergewicht als ziemlich gute Luther-Vandross-Kopie. Der junge, in Deutschland lebende Westafrikaner Aleksey eröffnete das Konzert, das so wüst endete, mit poppig-seichten Klängen. Wenn auch sein Gerappe mit Sicherheit das intelligenteste und vielschichtigste der ganzen Veranstaltung war — im Vergleich zur Studioarbeit mit der »Jazzkantine« fiel auch seine Live-Darbietung deutlich ab. (mpg)
Montag, 15. Januar 1996
Coolio: Fast nur Geschrei
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