Wie schön, daß bei »Seelow« im gut gefüllten Reutlinger »Jazzclub in der Mitte« (mal wieder) alles anders war: Das ganze Quartett, insbesondere aber der Leader Dieter Seelow selbst, mied an dem langen Abend sowohl sattsam bekannte Klischees wie auch Darstellungen der individuellen Virtuosität um ihrer selbst willen.
Weil das bei dem über weite Strecken aus sogenannten »Standards« bestehende Repertoire gar nicht so einfach ist, zeigte sich auch daran die musikalische Reife des Schorndorfer Saxophonisten und Flötisten, der — das nur am Rande — vor Jahrzehnten als PH-Student schon in der Szene der Region mitmischte.
Unter seinen Kollegen ist er als einer der ersten und führenden Jazzrocker anerkannt. Das zeigte sich auch an denn hohen Musiker-Anteil im Publikum; unter anderem hörten mit »Cptn. c/o Fee« und dem Tübinger Saxophonisten Helmut Müller zwei Jazzer aufmerksam zu, die man sonst kaum in der »Mitte« sieht.
Und das Hinhören lohnte sich. Neben den instrumentalen Qualitäten von Seelow und seinen Begleitern Uli Lutz (»Rhodes« E-Piano und Synthesizer), Olli Rubow (Schlagzeug) und Markus Bodenseh (Bass) fielen vor allem die luftigen Arrangements auf — und der Intensität, mit der die vier spielten.
Da klangen selbst fast schon »totinterpretierte« Stücke wie Herbie Hancocks »Cantaloupe Island« der Davische »Freddie the Freeloader« oder »Mercy Mercy Mercy« (als Zugabe) so frisch und spannend wie früher, als der Jazzrock noch für allgemeine Aufregung in der Szene sorgte. Und daß Seelow nicht nur gut in der Interpretation, sondern auch in Komposition ist, zeigte sich besonders in seinem Stück »2+3=5«.
»Mist, daß ich mein Sax im Auto nicht dabei habe« — ein sichtlich begeisterter Hellmut Müller wäre wohl noch bei seinen Kollegen eingestiegen, hätte er gekonnt. So blieb ihm, wie den anderen auch, nur das Klatschen., Logisch: Viel Beifall gab's für »Seelow«. In den nächsten Monaten wird das Quartett, das sich ziemlich rar macht, irgendwann auch im Tübinger Jazzkeller gastieren. (mpg)