Die Forderungen der Lesungsgäste waren ihm bewußt: »Ich will das Thema >Essen und Trinken< so wenig wie möglich verfehlen«, meint Joseph von Westfalen lächelnd zu Beginn. Am Mittwochabend war der Romanautor und Kolumnist der Mittelpunkt der kulturell-kulinarischen Veranstaltung in der Reutlinger Weinhandlung »Der Gallier«.
Die Melange aus Literatur, feinem Flüssig- und rustikalem Fest-Stoff lockte wieder mal viele hinterm Ofen hervor. Gut 100 Besucher — klar, daß Frauen auch bei dieser Lesung wieder in der Mehrzahl waren — hörten rund zwei Stunden lang zu. Und amüsierten sich dem ständigen Gekicher nach geurteilt wieder prächtig über den schwer satirisch veranlagten Autor, der vor sechs Jahren als erster Gast die Veranstaltungsreihe im »Gallier« eröffnete.
Es habe sich was getan, witzelte von Westfalen, »demnächst habe ich CD-ROM für den Computer mit allen meinen Texten drauf und einem Rechercheprogramm noch dazu. Da kann ich dann »Suche: Wein, Brot, Baguette« eingeben und bin optimal vorbereitet«.
Auch ohne Digitalkrücke hatte der Autor die »richtigen« Texte gefunden: Exakt sieben Minuten brauchte von Westfalen, bis er mittenmang beim Thema war. Um Experten ging es da, um »Weinkenner, die noch größere Scharlatane als die auf dem Kunstmarkt« seien — und um Freß-Experten, die sich erst so richtig wohl fühlen, wenn sie exklusiv den Tip von »der Dorfkneipe am Rand der Dritten Welt« geben können.
Westfalen erwies sich wieder einmal als ein Meister unerwarteter Assoziations-Ketten: Vom Verlags-Auftrag kam er aufs Zugfahren (1. Klasse »fahren nur Kleinbürger, die ihrer Herkunft entfliehen wollen«), und leitete nahtlos über zu der wichtigen Frage, warum Zugfahrer auf Billig-Sitzen anders husten als auf teuren Plätzen.
Westfalen spottete über die Titel-Flut auf dem Büchermarkt zum »Fest der Liebe« (Text-Titel): Veröffentlichungen zum Thema »Der Oko-Zimtstern« oder »Die Marzipan-Vergiftung« seien dringend vonnöten. Eindeutig auch die Position des Autors zum »25-Meter-Frühstücksbüffet«: »Ich will mich morgens nicht entscheiden, ich will nur was in mich reinstopfen, damit ich den Kaffee besser vertrage«, meinte von Westfalen — und forderte »die sofortige Festnahme aller Studenten und sonstiger Langschläfer, die am frühen Nachmittag in einem Modecafe ein großes Frühstück bestellen«.
Über solche Scherze lachten die Lesungsbesucher gerne und viel. Allerdings fiel auch bei dieser Veranstaltung auf, daß ein guter Schreiber nicht automatisch ein guter Vorleser sein muß: Besonders zu Beginn hetzte von Westfalen ohne jegliche kontrollierte Phrasierung durch seine Texte, verhaspelte sich auch später ständig. Da hätte man beim Selberlesen dann wahrscheinlich doch noch größeres Vergnügen gehabt.
Autor: Martin Gerner
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