Frisch, jugendlich und locker — diesen Eindruck machte Milt Jackson bei seinem Tübinger Konzert. Die Vibraphon-Legende gastierte samt drei Begleiterin im gut zur Hälfte gefüllten »Sudhaus« — und gah eine durch und durch nostalgische Vorstellung.
Aus eigenen Stücken, solchen seiner Mitspieler vom »Modern Jazz Quartet« und gerngehörten Standards wie »Straight No Chaser« setzte sich das Repertoire zusammen.
Die vier — neben Jackson der kongeniale Drummer Mickey Roker und, etwas farblos aufspielend, Bassist Bob Cranshow und Michael Ledonne am Flügel — riefen mit ihren fein abgezirkelten Stücken die »guten alten« Jazz-Geister wieder wach und liessen eine Musik-Zeit auferstehen, in der die Noten nur ein bisschen »blue«, sprich schräg, gespielt wurden und Soli noch fest in den harmonischen Grundgerüsten verwurzelt waren.
Die »Sudhaus«-Besucher hörten an diesem Abend absolut nichts Neues und waren, wie's schien, dankbar dafür: Milt Jackson, der in den 40er und 50ern die Spielweise seines bis dato mehr perkussionistisch gespielten Instruments in eher melodiöse Gefilde umbog, brachte — in Phrasierung, Harmonik und Improvisation — genau das, was man seit fast 50 Jahren von ihm kennt: Schönen, wohltönerischen »Kammerjazz«, der niemals auch nur ein Stückchen Irritation verursacht, sondern elegant und weich schnell den Weg in die Gehörgänge findet. Selbst wenn — wie geschehen — Jackson Souliges spielt, kommen weder er selbst noch die Zuhörer emotional ins Schwitzen: Cool durchkonstruiert — und damit auch vorhersehbar — war fast alles an diesem Abend.
Aber von einem, der sich schon längst im Schaukelstuhl hätte zurücklehnen können, ist musikalisches Grenzgängertum nicht zu erwarten — und schon gar nicht von Milt Jackson, der in seiner Musik offensichtlich der europäischen Klassik mehr zugeneigt war (und ist) als dem prallen und individuellen Gefühlsausdruck.
Die Legende kann's noch — das ist das Fazit des Abends, der von den Tübingern mit anfangs warmem, später begeistertem Applaus aufgenommen wurde. Übrigens zeigte auch Mickey Roker, noch so ein berühmter »alter Opa« des Jazz, dass er kaum etwas von seiner Swing-Präzision eingebüsst hat. Von seinen enorm effektiven Becken-Spielereien könnte sich manch ein junger Haudrauf eine Scheibe abschneiden.(mpg)
Freitag, 24. Mai 1996
Milt Jackson: Vorhersehbar nostalgisch
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