Das Aussergewöhnliche geschah um 21.15 Uhr: Da platzte dem Star-Jazzbassisten Gary Peacock im Tübinger »Sudhaus« dermassen der Kragen, dass er das gerade begonnene Stück unterbrach.
Laut und in ziemlich scharfem Ton machte er seinem Unmut über die Lichtregie Luft. Der Scheinwerfer-Dompteur hatte — eigentlich noch recht dezent — zwischen verschiedenen Farb- und Helligkeitswerten (sogenannten »Szenen«) hin- und hergeblendet; dem weltweit renommierten Tieftonmeister war's zuviel.
Aus der Nähe sah Peacocks Gesicht da aus, als ärgere er sich auch ein bisschen über seine mangelnde Selbstbeherrschung. Und sein Duopartner Ralph Towner, Gitarrist und Leader der in gewissen Jazzerkreisen legendären Gruppe »Oregon«, sog leise, aber hörbar, die Luft zwischen den Zähnen ein . . .
Die beiden Weltklasse-Jazzer — vom »Jazz im Prinz Karl« und dem »Sudhaus« gemeinsam nach Tübingen geholt und von vielleicht 300 Gästen im überfüllten »Sudhaus«-Saal heftigst beklatscht — fanden an diesem Abend nicht (oder nicht mehr) recht zusammen.
Klar spielen die beiden nicht schlecht; alleine schon gar nicht und auch miteinander ganz nett anzuhören. Aber wenn man die eigenen, auf Platten der Münchner Firma »ECM« reichlich dokumentierten Leistungen der beiden in der Vergangenheit zum Massstab nimmt, war das Tübinger Konzert eine lahme Sache.
Die wenigen Momente, in denen Towner auf der Zwölfsaitigen mit Balladeskem berührte oder Peacock eines seiner unvergleichlich schnell-schrägen Soli spielte, reichten nicht, das sehr langsam plätschernde Konzert spannend zu machen.
Das potentielle Kammerjazz-Erlebnis wurde auch von den vielen Zuspätkommern und Hypermotorikern zunichte gemacht - die Töne der beiden Jazz-Stars waren permanent von Geräuschen Herumlaufender und der Türe gestört. Die Veranstalter wären gut beraten, in Zukunft bei solch leisen Bühnen-Pegeln nach Veranstaltungsbeginn keinen mehr hereinzulassen. (mpg)
Donnerstag, 9. Mai 1996
Ralph Towner & Gary Peacock: Gestörter Jazz
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