Bewegend, diese kraftvollen und lebensfrohen Stimmen aus Kamerun: Als der afrikanische Chor »Les Voies D'Esperance de Doula« in der späten Dämmerung beim Abschlusskonzert des »11. Internationalen Tübinger Festivals« am Sonntagabend sang, riß es die Zuhörer von den Sitzen. Der charismatische Frontmann und seine 14 Mitsänger brauchten das restlos begeisterte Publikum im zu drei Vierteln gefüllten Zirkuszelt nur einmal zum Mittanzen auffordern.
Kaum einer der Star-Gäste beim einwöchigen, schwer vom Regen gebeutelten Zelt-Festival brachte mit solch hochmusikalischem Ausdruck soviel Stimmung ins Publikum wie diese frischen Stimmen aus Afrika.
Der Chor — zu Hause vor allem in Diensten der evangelischen Heimatgemeinde - begeisterte mit seiner homogenen, rhythmisch federnden Präzision und der stimmlichen Qualität fast jedes einzelnen Mitglieds: So eine dynamische Vokal-Formation kann man hierzulande nur ganz selten hören.
Die afrikanischen Sänger wurden, das war das zweite grosse Plus des Konzerts, von einem adäquat einfühlsamen, ebenso dynamischen und dazu noch stilistisch vielfältigen deutschen Musiker-Quartett begleitet. Da fiel vor allem Perkussionist Stephan Wildfeuer auf oder das zarte Klarinettenspiel des Multitalents Norbert Nagel, der auch auf dem Bass mitreissend groovte und als Saxophon-Solist überzeugte.
Und da war natürlich noch einer, Konstantin Wecker, »gamsig« auf Riesen-Tournee und — das ist sein Verdienst — der Initiator des Ganzen. Angeblich vom Kokain befreit, hat der Barde jetzt seine Liebe zu Afrika entdeckt.
»Der wird halt alt«, hörte man von so manchem weiblichen Fan, als die Nachricht von Weckers Heirat mit einer wesentlich jüngeren Frau durch die Gazetten ging.
Dem Rezensent fällt eher ein Verfall anderer Art auf: Wie wenig selbstkritisch ist dieser Musiker geworden, dass er Afrikaner in Dirndl steckt, oder mit ungewollt lustig tapsigen Tanzandeutungen verkündet, dass der »Soul in München geboren« ist?
Wie egomanisch überzeugt von sich muß einer sein, dass er — überhaupt kein bisschen kompetent — ein bereits veröffentlichtes Lied (»Sage Nein«) mit einem Dancefloor-Beat überzieht?
Wecker hat offensichtlich im Moment noch weniger Abstand zu sich selbst, als man es von ihm gewohnt ist. Dass er gerne und wortreich innere Befindlichkeiten outet, haben wir schon mitbekommen. Aber auf das musikalisch arg mediokre Bekenntnis »I'm A Soulman« hätten wir — das ständig im Radio gespielte Original im Kopf und zwei afrikanische Solisten im direkten Vergleich auf der Bühne — doch auch verzichten können.
Überzeugend war Konstantin Wecker bestenfalls in den Momenten, wo er nicht den bayerischen Afrikaner spielte: Seine Intonation — beim letzten Gastspiel in der Region in Bad Urach ziemlich mies — war in Tübingen ohne Fehl und Tadel, und als Pianist ist er ohne Frage immer noch überzeugend einfallsreich.
Aber: Er, der wie immer engen Kontakt zum Publikum hielt und nicht nur einmal (besonders im »Blues«) mit seinen zu 80 Prozent weiblichen Fans musikalisch flirtete, brachte halt nicht nur das »Liebeslied«, sondern auch oben beschriebene Peinlichkeiten.
Und, als wäre das nicht genug, eine erbärmlich blasse Cover-Version von »Sitting On The Dock Of The Bay« samt deutschem Text noch dazu.
Er ist halt extrem »gamsig«, dieser Wecker: »Sogar das Strassenbahngeschell / erregt mich Armen sexuell«. So jedenfalls sein Bekenntnis im Titelsong der aktuellen Platte und der Tournee. Seine wiedererlangte Jugendlichkeit, von der er jetzt öfters schwärmt, ist schön für ihn — im künstlerischen Bereich hat sie allerdings fatale Auswirkungen.
Die Tübinger Festivalgäste störten sich nicht an den Brüchen und auch nicht daran, dass in der ersten Konzerthälfte kaum ein Wort zu verstehen war, sondern feierten »ihren« Konstantin Wecker — auch im obligatorischen Zugaben-Ritual mit vielen Fans direkt vor der Bühne — heftig applaudierend, freuten sich über seinen offensichtlich recht stabilen physischen Zustand.
Musikalisch betrachtet waren jedoch die »Voies D'Esperance de Douala« die eigentlichen Stars des Abends. Hätte dieser Chor das Konzert alleine bestritten, hätte das »11. Internationale Tübinger Festival« seinen krönenden Abschluss gehabt. (mpg)
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