Montag, 29. Juli 1996

Marla Glen: Umjubelt

Autodächer soweit das Auge reicht: Weil der Andrang zum Konzert von Marla Glen beim »2. Tübinger Kulturzelt« riesengross war, mussten die meisten Fans erst mal wandern. Das Veranstalterteam vom »Löwen«-Magazin hatte nämlich versäumt, wie anderswo üblich extra Park-Gelände anzubieten. So mussten die Strassenränder rund ums »Beka«-Gelände herhalten — und bis zur Egeria-Fabrik hinunter waren alle zugeparkt.

Logisch, dass es auch im Zelt stellenweise sehr gedrängt zuging. Annähernd so voll wie bei Marla soll's nur beim ersten Abend mit dem Theater Mäulesmühle und dann noch heim Tübinger Lokalmatador Dieter Thomas Kuhn gewesen sein.

So anheimelnd die Atmosphäre ums Zelt, so gut die Beschallung — jedenfalls im Vergleich mit dem »Zoo«-Festivalzelt an der Reutlinger Strasse — drinnen: Beim nächsten Mal sollten die Veranstalter endlich die Mehrausgabe für eine höhere Bühne wagen. Auch diesmal konnten wieder nur überdurchschnittlich hochgewachsene Zuhörer mehr als die Köpfe der Musiker sehen — und das ist (bei den Preisen . . .) eigentlich eine Zumutung.

Von einer italienischen Band und den Tübingern von »Seven Up« bestens angewärmt, zeigten sich die Fans schon vor dem Auftritt der in Paris lebenden US-Amerikanerin in geradezu euphorischer Stimmung. Und als Marla — ihre männliche Ausstrahlung verstärkt sie wieder mal mit Anzug und Hut — dann mit kräftiger Verspätung auf die Bühne kommt, ist der Jubel laut.



Und hört das ganze Konzert über auch nicht mehr auf. Eigentlich ein Phänomen: Glen gastierte in den letzten drei Jahren dreimal im Grossraum Reutlingen/Tübingen, spielte — mit kleinen Variationen dreimal dasselbe Programm: Sehr auf Radiotauglichkeit getrimmter hlueslastiger Pop mit den üblichen Funk-Schnipseln, einzigartig höchstens durch die unverkennbare Stimme der Frontfrau. Marla konterkariert mit ihrer oft fauchenden, manchmal metallisch hart klingenden Art zu singen gängige Vorstellungen von Blues-Stimmen.

Es muss also die Ausstrahlung Glens sein, die die Massen nicht nur hier in der Gegend zu ihren Konzerten strömen lässt. Wer die Musikerin öfters gesehen hat, weiss allerdings, dass auch sie nur mit Wasser kocht: Marla reproduziert ihre Bewegungsahläufe wie auch die »ehrlich« aussehenden permanenten mimischen Verrenkungen: Nix mit unverfälschter Natürlichkeit — hier spielt ein Profi!

So gesehen musste die Begeisterung beim Zuhörer natürlich nachlassen — und dann reduzierte sich der von den »Kulturzelt«-Gästen umjubelte Auftritt zu einem überdurchschnittlichen Popkonzert ohne irgendwelche Überraschungen. (mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...