Mögen die Reutlinger sonst selbst bei hochkarätigen Gastspielen auch noch so zögerlich sein — wenn Reinhard Mey alle paar Jahre in der Listhalle singt, strömen die Fans in Scharen. Mey wurde sehr warmherzig empfangen; der Applaus brandete schon kräftig auf, als der schlanke, aus der Ferne immer noch sehr jungenhaft wirkende Musiker auf die Bühne kam.
Im Mittelpunkt des Abends standen nicht etwa die grossen Hits aus der 30jährigen Karriere des Liedermachers, sondern massiert die neuen Songs vom Leuchtfeuer«-Album.
Nachdem er seine anfängliche grosse Nervosität überwunden hatte, sang sich Mey mehr als zwei Stunden lang immer mehr warm und schaffte es, nur mit seiner Stimme und seinem präzisen, aber gleichförmigen Gitarrenspiel die Fans zu fesseln.
Nichts leichter als das — jedenfalls für den im Vergleich zu den Plakaten deutlich silbergrau gealterten Star der Barden-Szene: Routiniert, beredt und nur manchmal ein bisschen zu deutlich konstruiert und kalkuliert moderiert sich die Ein-Mann-Show Mey durchs eigene Programm.
Die Irritation durch einen Fotografen (der eigentlich seine Arbeit ziemlich diskret verrichtete) ist für Mey der Aufhänger für seine neue, sprachlich recht gelungene Heimwerker-Satire »Irgendein Depp bohrt irgendwo immer«. Diesen Song haben die Reutlinger sofort in ihr Herz geschlossen und als der begeisterte Heimwerker Mey erwähnt, er habe nun »Hausverbot im Baumarkt um die Ecke«, lachen nicht nur die Flex-Experten im Publikum.
Später stellt sich Mey im Stück »Tierpolizei« vor, wie es wäre, wenn die Tierwelt über unsere Ernährungsgewohnheiten richten würde — und berichtet selbst von den unendlich vielfältigen Erscheinungsformen des menschlichen Hinterteils (»Pöter«).
Vor der Pause gibt's mit der »Homestory« ein ganz altes Lied zu hören. Später geht's zu »Hempels unters Bett« und dann wird Mey, der sich sonst eigentlich vornehm (und der allgemeinen Beliebtheit förderlich) mit deutlicher Kritik an irgendwem zurückhält, ganz ernst: »Sei wachsam!« singt er gegen politische Abstumpfung, »wenn man die Freiheit nicht nutzt, dann nutzt sie sich ab«. Und verkündet, dass er es schon verstehe, »warum manche Menschen an der Zukunft, der Menschheit und besonders der Politik verzweifeln«.
Damit leitete Mey elegant zur Geschichte von »Kati und Sandy« über, einem Song über zwei an der Welt verzweifelnde Teenager, die Selbstmord begehen. Der Schnitt zur Freizeitstress-Veralberung »Alle rennen« war dafür um so härter. Danach noch mit »Lilienthals Traum« eins aus der Flieger-Kiste und den Schmusesong »Nein, ich lass dich nicht allein« ganz zum Schluss.
Klar, dass die Fans in der Listhalle wohl noch viel länger hätten zuhören wollen. Auch klar, dass Mey sich selbst im lauten Schlussapplaus sein (schlecht gespieltes) verwundertes Kokettieren mit dem eigenen Erfolg nicht verkneifen konnte. Sonnenklar, dass es in der ausgezeichnet beschallten Listhalle Zugaben gab: Bevor Mey sich den Notenständer für ein ganz neues Lied bringen liess (»ich komponier' immer aus der Angst heraus, zu wenig Stücke zu haben, in allerletzter Sekunde noch einen Song — und den kann ich dann nicht«), ging er fast bis ganz an den Anfang seiner Karriere zurück: »Komm giess mein Glas noch einmal ein« ist ein Mey-Dauerhrenner, der mehr als ein Vierteljahrhundert auf
dem Buckel hat. (mpg)
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