Samstag, 1. Februar 1997

Joachim Kühn, Daniel Humair, Jean-Francois Jenny-Clark: Trio Infernale

Der deutsche »Jazzmusiker des Jahres 1990«, Joachim Kühn, zusammen mit dem weltberühmten Schweizer Schlagzeug-Filigrantechniker Daniel Humair und dem nicht minder bekannten französischen Bassisten JeanFrancois Jenny-Clark, auf einem kleinen, regionalen Jazzfestival? Geht nicht, sagen viele.
Aber die Macher der schon in der fünften Auflage kommerziell wie künstlerisch erfolgreichen Nürtinger Jazztage haben es geschafft, das spieltechnisch wahrhaft infernalische, musikalisch vielgerühmte Trio als Highlight in die Kreuzkirche einzuladen.

Da wird's dann europäischen Jazz vom Allerfeinsten zu hören geben, von einem Ensemble mit Geschichte: Schon vor einem Vierteljahrhundert spielten diese drei eine Weile zusammen. Und wurden schon damals wegen ihrer aufregenden und gleichzeitig sehr eleganten Gruppen-Balance gelobt. Danach war eine Weile Pause, aber seit zwölf Jahren — da »wiederbelebte« Joachim Kühn seine »French-Connection« — gilt die Formation als bestes europäisches Piano-Trio.

Kein Wunder, wenn man um den überragenden Ruf der einzelnen Mitglieder weiß. Auch bei diesem Ensemble scheint es sehr häufig so zu sein, daß das Ganze mehr als die Summe der Einzelteile ist — aber die alleine sind schon hochkarätig genug.

Kühn spielte, bevor er 1975 von der Legende Joe Henderson zu den Aufnahmen für dessen »Black Narcissus«-Album in die USA eingeladen wurde (und dort auch fünf Jahre lang blieb), schon mit Stars wie Jean-Luc Ponty, Don Cherry oder Steve Lacy zusammen. In Kalifornien kam vor allem die »elektrische« Seite des sensiblen Tastendrückers zum Vorschein: Kühn spielte mit Billy Cobham, Michael Brecker, Eddie Gomez und anderen.

Wieder in Europa, beschäftigte er sich zunehmend auch mit Neuer Musik — und schlug in den 90ern einen souveränen Bogen zwischen kleiner und großer Besetzung (WDR-Bigband), zwischen der Jazz-Tradition und Avantgarde: Kritiker beurteilten Kühns Zusammenarbeit mit dem Studio-Elektronik-Spezialisten Walter Quintus zum Teil fast schon schwärmerisch begeistert.

Ebenso überschwengliches Lob wird dem Genfer Daniel Humair seit dreißig Jahren zuteil: Kaum ein anderer europäischer Jazzschlagzeuger vermag dermaßen komplexe Polyrhythmen zu spielen, ohne dabei jeweils den Swing, Puls oder Groove zu vernachlässigen. Und er harmoniert ganz hervorragend mit Baßmann Jenny-Clark, der wie Kühn ein ständiger Wandler zwischen den Musik-Welten ist. Ob er indes wirklich nach Nürtingen kommen kann, ist für Insider fraglich: Der 52jährige ist schwerst an Lungenkrebs erkrankt.

Auch in der Kreuzkirche soll's wieder »the best of both worlds« geben. Auf dem Programm stehen acht Songs aus der Dreigroschenoper von Brecht/Weill. Wer das Trio Infernale kennt, ahnt, daß da weit mehr als eine »Verjazzung« stattfindet. Das sahen auch die Profi-Zuhörer so: Das Studio-Album zu diesem Projekt wurde im letzten Jahr mit dem »Preis der deutschen Schallplattenkritik« ausgezeichnet. (mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...