Eigentlich hätte er ja schon letztes Jahr nach Tübingen kommen sollen — aber dann fiel Jethro-Tull-Motor Ian Anderson (49) von einer Bühne und war außer Gefecht. Der Querflöten-Derwisch hatte Glück im Unglück, wie er beim Interview mit Martin Gerner berichtet. Und: Anderson kommt samt Jethro Tull jetzt für zwei Konzerte nach Tübingen und Stuttgart.
Gut vom Unfall erholt?
Jaja. Ich lag nur zwei Wochen im Krankenhaus, es gab kaum Komplikationen.
Gibt's zur Jubiläumstour ein besonderes Programm?
Seit 1969 war jeder unserer Gigs ein Best-of-Jethro-Tull-Konzert. Und heute muß ich vor dem Tourstart aus 250 Titeln auswählen — eine Heidenarbeit. Wir werden aber auch Sachen spielen, die selbst unsere glühendsten Fans noch nicht oder nicht mehr kennen.
Der Rockstar Anderson hätte sich längst zurückziehen können. Warum immer noch die vielen Tourneen?
Weil's Spaß macht, nach wie vor. Außerdem — Star in dem Sinn, daß ich ständig Teil des öffentlichen Lebens wäre und in Skandalgeschichten verwickelt, war ich noch nie. Ich hin ein Musiker, spiele mein Konzert, gehe dann ins Hotel und les' vor dem Schlafen noch ein Buch oder schau mir CNN an . .
... interessiert an Politik?
Ja klar, ich möchte immer wissen, wie was in der Welt vorgeht. Wenn ich fernsehe, dann fast nur Nachrichten- oder Dokumentarsendungen. Spielfilme oder gar Game-Shows interessieren mich nicht.
Wie steht's mit dem Internet?
Die Möglichkeit, weltweit mit jedem in Sekundenschnelle über die Tastatur kommunizieren zu können, ist prinzipiell toll — aber das Niveau dieses Austausches ist doch abstoßend niedrig. Eines der größten Probleme ist, daß du im Internet ohne Aufwand ständig eine falsche Identität vorspiegeln kannst — da kommt deswegen noch ein ziemlicher Schlamassel auf uns zu, da hin ich mir sicher.
Das klingt nach Expertenwissen ...
Ich beschäftige mich halt seit Jahren mit Computern. Ich glaube, daß die Zukunft in sehr kleinen und billigen, tragbaren Geräten in der Art heutiger Terminals liegen wird, mit denen wir uns nur noch auf großen Info-Servern einklinken werden.
Das verändert doch auch das Pop-Business?
Klar — und zwar total: Je mehr Musik Teil von computerland wird, desto mehr wird sie auch jedem zugänglich sein. Der bisherige Platten- und CD-Verkauf wird verdrängt — und die teure, blödsinnige Werbung für miese Musik zieht dann auch nicht mehr, hihi .
Was hältst du von den aktuellen Musiktrends?
Wenn du Techno und Konsorten meinst — ich finde, daß diese Stile nur die konsequente Weiterentwicklung von Disco in den 70ern sind. Nur schade, daß die meisten dieser Tracks mit Maschinen gemacht sind, die nichts anderes tun, als wiederum den Klang 15 Jahre alter Maschinen nachzuahmen: Das ist doch langweilig! Und in anderen Bereichen wird zumindest in England zur Zeit nur noch kopiert. Ich hör' trotzdem viel Radiomusik, ich seh's wie die Tageszeitung. Nicht, daß ich gerne von Bombenanschlägen der IRA lese aber ich muß es trotzdem tun, um informiert zu bleiben. In genau dieser Art und Weise hör' ich mir auch (Pause, herzliches Lachen) heute Super-Bands wie Oasis an. (mpg)
Sonntag, 1. Juni 1997
Ian Anderson: Wie alte Maschinen
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