Mittwoch, 15. Oktober 1997

Expedicion: Ethno-Gebrodel

Wenn's nach der Stimmung im Publikum geht, dann wird die Live-Platte von »Expedicion« hervorragend: Beim Tübinger, vom »Neckarsound«-Studio mitgeschnittenen »Sudhaus«-Konzert der Esslinger Multikulti-Band brauchten die rund 120 Besucher keine drei Stücke, um in zustimmende Bewegung zu kommen. Der Mix aus »normalem« Pop afroamerikanischer Herkunft, Afro-Grooves und brasilianischen Elementen kam mehr als zwei Stunden lang bestens an.

Harmonisch bestimmend im Sound der zwölfköpfigen Gruppe um den Geiger Martin Schnabel waren das brasilianische Songwirterinnen-Paar »Rosanna & Zelia« sowie der dritte Frontmann, Robert Dinako aus Zaire. Aber für die hitzige Stimmung unter den Fans sorgte im wesentlichen das exzellent zusammenspielende Rhythmus-Quartett mit Florian Dauner am Schlagzeug, Alex Papavergou an den Congas, dem auch in Reutlingen bekannten Pops Wilson und Paul Harriman am Baß. Die vier ließen sich eine breite Palette an Exotik-Rhythmen einfallen, waren aber auch in »gewöhnlichen« Funk-Belangen sehr fit: Speziell Dauner wuchs — im Vergleich zu dem, was man sonst von ihm so hört — über sich selbst hinaus; sein bejubeltes, langes Solo in der Konzertmitte war nur eine seiner Glanzleistungen an diesem Abend.

Eigentlich wären ja schon diese sieben für einen gelungen Abend ausreichend gewesen. Zu den eng verzahnten Grooves kamen aber noch mehr Töne, produziert vom italienischen Keyboarder Lilo Scrimali, dem argentinischen Flötisten Cesar Villaphane, Gitarrist Colin Weavill, Sänger Jo Schweizer und dem geigespielenden Chef. Und hier liegt auch das Problem bei »Expedicion«, jedenfalls aus produktionstechnischer Sicht: Nicht nur, daß jeder Song bis in den letzten Chorus vollgepackt ist mit Themen und Ideen — die Musiker spielten im »Sudhaus« sehr oft alle gleichzeitig sehr viele Noten.

Das mag in der Live-Atmosphäre (wo sich die Konzentration des einzelnen Hörers meist auf einzelne Musik-Bestandteile fokussiert) prächtig funktionieren — ob das Ethno-Gebrodel (trotz weitgehender spieltechnischer Korrektheit) auf Platte abgemischt dann im Wohnzimmer noch spannend und unverwechselbar genug klingt, um länger zu tragen, ist fraglich.

So manchesmal schienen sich die Musiker mit guten Einfällen geradezu ausstechen zu wollen, so manchesmal litt die Dynamik, weil wieder mal gerade alle »volles Brett« donnerten. Weniger wäre auch hier mal wieder wahrscheinlich mehr gewesen; aus (fast) jedem Stück hätte man drei machen können.

Aber, wie gesagt: Live war dieser Musik-Mix in Tübingen sehr erfolgreich, und mit ihrem — offensichtlich extra für diese Aufnahme-Session noch zusätzlich trainierten Können — haben die Musiker hier eine gute Visitenkarte abgegeben. Welche Teile des Konzerts auf CD übernommen werden können und wie das dann klingt, bleibt abzuwarten. (-mpg)

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In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...