Mittwoch, 11. März 1998

Claus Stötters Nevertheless: Club der Jazz-Könner

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge wird Dizzy Krisch wohl den massiven Zulauf im Tübinger Jazzkeller registriert haben. Über den jetzt bei den Gastspielen von Claus Stötters »Neverthelesse« zweimal völlig ausverkauften, eigentlich schon überfüllten Jazzkeller gefreut hat sich der Musiker mit Sicherheit, weil die Leute ja auch wegen seiner Vibraphon-Künste in die Haaggasse schwärmten.

Als alter und neuer Vorsitzender des eingetragenen Jazzclub-Vereins dürfte er aber auch ins Nachdenken gekommen sein: So voll wie bei den beiden Konzertabenden mit dem Trompeter und Flügelhornisten Stötter und seiner Band ist das Gewölbe bei Jazz-Veranstaltungen in letzter Zeit nie gewesen — egal, wer was wann wie spielte.

Er ist halt »everybodys darling«, der Stötter, nicht nur in der regionalen Jazzszene. Und er macht, auch weil er anderswo gut beschäftigt ist, nicht den Fehler vieler anderer, sich in Tübingen »totzuspielen«. »Heimspiele« mit »Nevertheless« sind etwas Rares — und weil zum Wissen um das musikalische Können von Claus, Dizzy und Co. halt noch die Erkenntnis kommt, daß man diese Formation eben nicht alle Tage »nebenan« hören kann, reißen sich die Jazzfans um einen Platz.

Und sei er auch noch so klein: Am letzten Sonntag gab's im Kellergewölbe das berühmte Sardinenfeeling zu erleben — und selbst auf der langen Treppe des Jazzclubs »stapelten« sich jene Fans, die nicht überpünktlich zum Konzert gekommen waren. Tags zuvor, so wurde berichtet, soll's nicht anders gewesen sein. Da gab's einigen Unmut wegen der Enge — Musiker und Veranstalter sollten sich überlegen, beim nächsten Mal in einen größeren Raum auszuweichen.

Zu hören waren schwerpunktmäßig die Titel der letzten »Nevertheless«-Platte - eigentlich kein neues Material, aber teilweise in neuen Arrangements gespielt. Vom Sonntagskonzert bleibt — mal abgesehen von der wirklich verblüffenden Geschlossenheit der Gruppe — ein bezwingend elegant und trotzdem zupackend spielender Drummer Francois Laizeau in besonders nachhaltiger Erinnerung sowie ein Dizzy, der mit seinen feinen Tönen immer prägnant den Gesamtsound prägte, ohne sich (von der Lautstärke her gesehen) auch nur ein einziges Mal in den Vordergrund zu stellen.

Und Matthias Erlewein, der Kölner Saxophonist, lieferte mit dem Bandchef öfters wieder jene traumhaft sicheren Duett-Geschichten innerhalb der Band, wegen der »Nevertheless« von Anfang an gelobt wurde.
Am Ende des Gastspiels stand ein federnd-funkiger Jazz-Reggae und ein ganz sachtes, ganz leises, sehr schönes Stück mit Stötters Flügelhorn als akustischem Mittelpunkt. Und um Mitternacht gab's für den Ausnahme-Trompeter von seinen Ausnahme-Mitmusikern Glückwünsche zum Geburtstag.
Autor: Martin Gerner

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In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...