Freitag, 24. April 1998

Jazzkantine: Hip-Hop routiniert

Nein, Jazz ist es nicht, auch wenn die Rapper der »Jazzkantine« das in einem Song nachhaltig behaupten. Lediglich jazzig angehaucht war der Deutsch-HipHop, den das runde Dutzend Schnellsprecher und Musiker jetzt im ausverkauften Stuttgarter »LKA« routiniert und vergleichsweise ansprechend präsentierte.

Im Gegensatz zu (fast) allen anderen HipHopacts waren nämlich die Texte der Musik-Köche auch im Konzert zu verstehen — und das ist gerade bei den neuen, zum Teil schwer philosophisch angehauchten Songs dieser »Geheimrezept«-Tour erfreulich.

Ein weiterer Positiv-Posten war die Präzision, mit der die »Jazzkantine« auch diesmal ans Werk ging — in dieser doch sehr grossen Musikerklicke mit dem dichten Sound gab's kaum Abstimmungsschwierigkeiten. Und die Soli, sowohl von der dreiköpfigen, mit messerscharfem Ansatz spielenden Bläsersection wie auch von Keyboarder Jan-Heie Erchinger oder ganz besonders — Gitarrist Tom Bennecke klangen gekonnt und überlegt.

Selbst Gunter Hampel, der vor kurzem mit eigenem Projekt ein nicht sehr erwähnenswertes Konzert im Tübinger »Sudhaus« abgeliefert hatte, war im Stuttgarter »Longhorn« hörbar »gut drauf«.

Nur: Der Funke wollte stimmungsmäßig nicht so recht überspringen. Schon klar, daß die Ober-Fans in den ersten Reihen mitgingen — aber ab der Mitte war in dieser Hinsicht nicht mehr viel los. Auch trotz alter »Jazzkantine«-Hits wie »Respekt«, trotz witziger »Quietscheentchen«- Einlage und jeder Menge Mitsing-Aufforderungen.

Daß die längst nicht so fruchteten wie beispielsweise beim Reutlinger »Färberei«-Abstecher der letzten großen »Jazzkantine«-Tour, mag an den extrem schlechten Sichtverhältnissen im »LKA« gelegen haben und auch an der Größe der Halle: Diese Musik »funktioniert« live um so besser, je geringer die Distanz zwischen Macher und Hörer ist.

Schuld an dem etwas lauen Gesamteindruck hatten aber sicher auch zum Teil die Musiker selbst, die (man kennt's. . .) anscheinend mit zunehmender Popularität immer professioneller und routinierter, damit aber leider auch glatter geworden sind.
Autor: Martin Gerner

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...