Ein »ganz normales« Konzert, und trotzdem ein Erlebnis: Johnny Cash, die Country-Legende, gastierte auf der Freilichtbühne des Stuttgarter Killesbergs open air und fesselte allein mit Stimme und Ausstrahlung.
Es war ein Familientreffen: Zusätzlich zu seinem Begleitquartett — vier gestandene Herren an Keyboards, Drums, Gitarre und Kontra- wie Elektrobass — hatte der dieses Jahr 65 gewordene Sänger seine zweite Frau June Carter sowie den gemeinsamen Sohn John Carter Cash mitgebracht. Mutter und Sprössling haben ihre eigene Karriere gemacht und sind in der US-amerikanischen Country-Szene bekannt. Beide verblassten aber gegen die Legende: Johnny Cash brauchte nur auf die Bühne zu kommen, um die Szenerie zu dominieren.
Nicht, dass Johns Songs — etwa »February« oder das textlich gelungene »She Loves The Night« — im Vergleich mit der Produktion anderer Singer/Songwriter abfallen würden. Und June, die Lady mit der zupackenden Stimme und Cashs »favourite performer« weiss ja eigentlich auch, wie man das Publikum mitzieht. Ihre Beiträge wirken aber marginal, so lange die lässig-gutgelaunte Legende nicht mit auf der Bühne steht. Es sind Johny Cashs unvergleichliche Ausstrahlung und die einzigartige, markant-sonore Stimme, die in den Bann ziehen.
Wenn aus »Going To Jackson« plötzlich ein spannendes Stück Musik wird, oder Tom Pettys »Southern Accent« hochinteressant und atmosphärisch klingt, darf auch hier die alte Showbiz-Regel wieder zur Anwendung kommen: »It's the singer, not the song« — auf das wie kommt's mehr als aufs was an.
Auf der schlicht ausgestatteten Killesberg-Bühne — die »Show« besteht aus einem zwischendrin mal als Hintergrund gezeigten Eisenbahn-Film aus der Pionierzeit — bringt Cash wenig Neues, statt dessen eine satte Best-Of-Show. Mit seinen eigenen Songs — rund 600 dürften es sein - könnte Johnny Cash mehrere Liederbücher füllen.
In Stuttgart gibt's zwei Dutzend Evergreens, zu musikalischen Höhepunkten geraten »'cause you're mine« und der von June komponierte »Ring Of Fire«. Das Publikum — kaum 2 000 zwischen 35 und 70 waren gekommen — nahm das Konzert mit recht begeistert klingendem Beifall zur Kenntnis. (-mpg)
Donnerstag, 31. Juli 1997
Dienstag, 29. Juli 1997
JazzOpen Stuttgart '97: Meisterliches Blues-Potpourri
Am zweiten Abend der diesjährigen Jazz Open war die Legende des Memphis-Soul, Isaac Hayes angesagt. Wer sich von dem Black-Music-Star eine heisse Nacht des Funk und Soul versprach, wurde enttäuscht. Hayes und seine zwölfköpfige Big-Band schafften es über weite Strecken nicht, den Beethovensaal mit ihrem Funk-Bombast anzuheizen.
Woran lag's? Die Band war mit vier Keyboards reichlich überdimensioniert, Hayes Bassstimme hingegen bescheiden abgemischt. Die Band insgesamt funktionierte zwar technisch effizient, aber völlig unterkühlt. Da konnte keine Stimmung aufkommen, zumal der Saal mit zwölfhundert Besuchern relativ schlecht besetzt war. Und: Obwohl das Konzert ursprünglich unbestuhlt über die Bühne gehen sollte, konnte man sich's sitzend bequem machen. Mit der Folge, dass viele standen, etliche sassen und nicht wenige die verschiedensten Sitzpositionen unruhestiftend ausprobierten. Isaac Hayes schaffte es mit seiner Show nicht, die enttäuschten Fans für sich zu gewinnen. Da hatten es die fünf Mädchen von Zap Mama, die den Abend eröffneten, leichter. Sie boten, um Bass und Perkussion zum Septett erweitert, eine bunte Show, mixten Reggae, kreolische und US-Sounds geschickt — und animierten so das Publikum zum konzentrierten Zuhören.
Die Samstags-Besetzung der Jazz Open versprach hochkarätige Multikulti-Begegnungen. Statt dessen gab's letzendlich nur recht gut zusammengesbastelte Klischees zu hören. Als Ersatz für den charismatischen Rai-Musiker Khaled, der seinen Auf tritt in Stuttgart kurzfristig abgesagt hatte, kam das »Joe Zawinul Syndicate«. Der aus Wien stammende, seit den 60er Jahren in den USA lebende Keyboarder Zawinul gilt — spätestens seit seiner Zusammenarbeit mit dem »elektrischen« Miles Davis — als einer der wichtigsten Tastateure des modernen Jazz.
In der Liederhalle verschanzte er sich inmitten eines wahrhaft monströsen Keyboard- und Elektronikaufbaus: Vor sich im Halbkreis acht Manuale, auf dem Boden zwölf (!) Effektpedale, hinter sich grosse Kisten mit Samplern und Synthesizer-Modulen gleich im Dutzend. Zawinul scheint heute mehr noch als in vergangenen Jahrzehnten ein Technik-Freak zu sein — und wie so oft, wenn Jazzer viel Elektronik ins Spiel bringen, rechtfertigt das Endergebnis den Aufwand nicht: Das Syndicate klang allerdings nur in den besten Momenten wie die vorletzte Begleitgruppe von Miles. Die Trompete des Meisters hat allerdings in dem mal flächig-atmosphärischen, meistens funkigen Fusion-Mix schwer gefehlt.
Ansonsten verfuhr das Jazz-Rock-Syndikat nach der Devise »Schneller, höher, weiter«, stellte — ohrenbetäubend laut und nicht sehr transparent abgemischt enorm versierte Instrumentenbeherrschung zur Schau. Der Beethovensaal hat sich bei diesem mit achthundert Fans mager besuchten Konzert langsam, aber stetig geleert.
Die Dissidenten, in den 80ern auf Platte ein »Muss« in jeder Wohngemeinschaft und noch heute vor allem in Südeuropa und Nordafrika viel, viel populärer als zu Hause, schmissen vorher — ziemlich an gegenwärtige Tanzboden-Tendenzen angebiedert — ein knappes Dutzend (Ethno)-Popstile in einen Topf. Indisches und Drum-'n'-Bass-Geklappere, Klänge aus Tausendundeiner Nacht mit Rap-Versuchen und allerlei Mainstream-Zitaten querbeet abgeschmeckt und wieder dröhnend (zudem noch »matschig« klingend) serviert: Was zuviel ist, ist zuviel. Und weniger wäre mal wieder mehr gewesen.
»Nothing But The Blues« gab's zum Abschluss der diesjährigen Jazz Open. Beim Zwölftakt-Finale war der unbestuhlte Beethovensaal doppelt so voll wie tags zuvor und die Stimmung im Publikum von vornherein erwartungsvoll.
»Keb' Mo'«, ein relativer Neuzugang im Blues-Lager — rechtfertigte die in ihn gesetzten hohen Erwartungen kaum. Mag sein, dass seine gefällig-geschliffenen Popfunk-Variationen der letztendlich immer gleichen Blues-Themen eine breite Masse für Blues begeistern können. Wer den echten Stoff seiner Vorbilder kennt, kann auf den Nachahmer verzichten.
»The Real Stuff« gab's dagegen von der quicklebendig wirkenden Blues-Legende B.B. King zum krönenden Abschluss. Die Stuttgarter bejubelten (wie jedes andere Publikum) den 72jährigen Gitarristen und seine achtköpfige, wie immer hervorragende Blues-Band aufs Frenetischste. Und bekamen dafür von dem agilen Meister (wie bei jedem seiner Konzerte seit gut 15 Jahren) nicht nur ein »Best of«-Potpourri, sondern auch exklusive B.B.-Gitarrenplektren, die King im Publikum verteilte. (-mpg)
Woran lag's? Die Band war mit vier Keyboards reichlich überdimensioniert, Hayes Bassstimme hingegen bescheiden abgemischt. Die Band insgesamt funktionierte zwar technisch effizient, aber völlig unterkühlt. Da konnte keine Stimmung aufkommen, zumal der Saal mit zwölfhundert Besuchern relativ schlecht besetzt war. Und: Obwohl das Konzert ursprünglich unbestuhlt über die Bühne gehen sollte, konnte man sich's sitzend bequem machen. Mit der Folge, dass viele standen, etliche sassen und nicht wenige die verschiedensten Sitzpositionen unruhestiftend ausprobierten. Isaac Hayes schaffte es mit seiner Show nicht, die enttäuschten Fans für sich zu gewinnen. Da hatten es die fünf Mädchen von Zap Mama, die den Abend eröffneten, leichter. Sie boten, um Bass und Perkussion zum Septett erweitert, eine bunte Show, mixten Reggae, kreolische und US-Sounds geschickt — und animierten so das Publikum zum konzentrierten Zuhören.
Die Samstags-Besetzung der Jazz Open versprach hochkarätige Multikulti-Begegnungen. Statt dessen gab's letzendlich nur recht gut zusammengesbastelte Klischees zu hören. Als Ersatz für den charismatischen Rai-Musiker Khaled, der seinen Auf tritt in Stuttgart kurzfristig abgesagt hatte, kam das »Joe Zawinul Syndicate«. Der aus Wien stammende, seit den 60er Jahren in den USA lebende Keyboarder Zawinul gilt — spätestens seit seiner Zusammenarbeit mit dem »elektrischen« Miles Davis — als einer der wichtigsten Tastateure des modernen Jazz.
In der Liederhalle verschanzte er sich inmitten eines wahrhaft monströsen Keyboard- und Elektronikaufbaus: Vor sich im Halbkreis acht Manuale, auf dem Boden zwölf (!) Effektpedale, hinter sich grosse Kisten mit Samplern und Synthesizer-Modulen gleich im Dutzend. Zawinul scheint heute mehr noch als in vergangenen Jahrzehnten ein Technik-Freak zu sein — und wie so oft, wenn Jazzer viel Elektronik ins Spiel bringen, rechtfertigt das Endergebnis den Aufwand nicht: Das Syndicate klang allerdings nur in den besten Momenten wie die vorletzte Begleitgruppe von Miles. Die Trompete des Meisters hat allerdings in dem mal flächig-atmosphärischen, meistens funkigen Fusion-Mix schwer gefehlt.
Ansonsten verfuhr das Jazz-Rock-Syndikat nach der Devise »Schneller, höher, weiter«, stellte — ohrenbetäubend laut und nicht sehr transparent abgemischt enorm versierte Instrumentenbeherrschung zur Schau. Der Beethovensaal hat sich bei diesem mit achthundert Fans mager besuchten Konzert langsam, aber stetig geleert.
Die Dissidenten, in den 80ern auf Platte ein »Muss« in jeder Wohngemeinschaft und noch heute vor allem in Südeuropa und Nordafrika viel, viel populärer als zu Hause, schmissen vorher — ziemlich an gegenwärtige Tanzboden-Tendenzen angebiedert — ein knappes Dutzend (Ethno)-Popstile in einen Topf. Indisches und Drum-'n'-Bass-Geklappere, Klänge aus Tausendundeiner Nacht mit Rap-Versuchen und allerlei Mainstream-Zitaten querbeet abgeschmeckt und wieder dröhnend (zudem noch »matschig« klingend) serviert: Was zuviel ist, ist zuviel. Und weniger wäre mal wieder mehr gewesen.
»Nothing But The Blues« gab's zum Abschluss der diesjährigen Jazz Open. Beim Zwölftakt-Finale war der unbestuhlte Beethovensaal doppelt so voll wie tags zuvor und die Stimmung im Publikum von vornherein erwartungsvoll.
»Keb' Mo'«, ein relativer Neuzugang im Blues-Lager — rechtfertigte die in ihn gesetzten hohen Erwartungen kaum. Mag sein, dass seine gefällig-geschliffenen Popfunk-Variationen der letztendlich immer gleichen Blues-Themen eine breite Masse für Blues begeistern können. Wer den echten Stoff seiner Vorbilder kennt, kann auf den Nachahmer verzichten.
»The Real Stuff« gab's dagegen von der quicklebendig wirkenden Blues-Legende B.B. King zum krönenden Abschluss. Die Stuttgarter bejubelten (wie jedes andere Publikum) den 72jährigen Gitarristen und seine achtköpfige, wie immer hervorragende Blues-Band aufs Frenetischste. Und bekamen dafür von dem agilen Meister (wie bei jedem seiner Konzerte seit gut 15 Jahren) nicht nur ein »Best of«-Potpourri, sondern auch exklusive B.B.-Gitarrenplektren, die King im Publikum verteilte. (-mpg)
Montag, 14. Juli 1997
Earth, Wind & Fire: Unspektakuläres Comeback
Die Stuttgarter kamen als erste dran: »Earth, Wind & Fire«, die Disco-Supergruppe der 70er, startete nach neun Jahren Pause ihr Deutschland-Comeback am Samstag im Kongreßzentrum auf dem Killesberg. Das Konzert war eines von insgesamt nur vier der legendären Hit-Formation; am heutigen Montag treten »EWF« in Frankfurt auf, morgen in Düsseldorf und am Mittwoch in Hamburg.
»EWF« — fast 20 Alben haben sie gemacht und beinahe doppelt soviele Hits - schafften schon vor mahr als zwanzig Jahren das, was man heute — nicht als Stilbegriff, sondern taktisch gesehen, »Crossover« nennt. Die musikalisch perfektionistischen, für die damaligen Studiotechnik-Verhältnisse bis ins letzte ausgefeilten Songs vereinten die Elemente von Soul, Rhythm 'n' Blues, Funk, Pop und Rock. »EWF« war eine der ersten Gruppen, die gleichermaßen bei Farbigen wie Bleichhäuten, bei Tanz-Freaks wie Radiohörern ankam: Die Quadratur des Kreises — jedenfalls aus Sicht desjenigen, der als Pop-Star erfolgreich sein will.
»Earth Wind & Fire« haben die »Disco«-Welle (und den Stil) maßgeblich mitgeprägt und gleichzeitig Äther-Pop der allerbesten Sorte geliefert: Ganze Radiostationen (in unseren Breiten beispielsweise SWF 3) schwenkten Ende der 70er auf die Machart der opulenten und rhythmisch federnden »EWF«-Songs ein — und hatten damit viel Erfolg. Später, als dick aufgetragene Show nicht mehr gefragt war, statt dessen minimalistische New-Wave- und Punk-Töne, wurde es ruhiger um »EWF« — ganz verschwunden von der Bildfläche sind sie dank ihrer auch heute noch oft gesendeten Radio-Hits nie.
Der Mentor und Motor des Ganzen, Maurice White, hat wie viele andere »Oldies« der Branche dem stressigen Tour-Live-Betrieb schon längst den Rücken gekehrt Szene-intern wird gemunkelt, daß er sich mit den anderen nicht mehr besonders gut versteht.
In Stuttgart stand also Philip Bailey, der soundprägende Sänger mit der unverkennbar charakteristischen, hellen Falsettstimme, im Vordergrund. Er, Drummer Ralph Johnson und Bassist Verdine White sind aus den Anfangstagen heute noch dabei; mit ihnen spielten sieben exzellente Profis.
»Nicht kleckern, sondern klotzen« war die Devise, auch wenn »Earth, Wind & Fire« anno '97 auf den optischen Pomp der Spätsiebziger verzichten. Kein Krieg der Sterne wie damals auf der Bühne, kein Laser- oder Blitz-Gewitter wie heute schon fast Standard bei Großkonzerten: Die Musik steht im Mittelpunkt — und die alten Hits bringen Bailey & Co. mit großem Aufwand: Ein zweiter Schlagzeuger, zweimal Percussion, Gitarren, Tasteninstrumente und Sampler reichlich.
Damit schaffen die Musiker weitgehend 1:1-Reproduktionen der Plattenversionen ihrer Evergreens. «Boogie Down«, das »Boogie Wonderland«, »September«, »After the Love Has Gone« oder das »Land of fantasy« klingen genauso zupackend und elegant, genauso elegant und euphorisierend wie der alte Vinyl Stoff.
Und die mittelalterlichen Fans in der locker zu drei Vierteln gefüllten Messehalle B lassen sich von der nostalgisch-perfekten Vorstellung von Anfang an mitreissen. Selbst weit hinten, ja fast am Ausgang tanzen die Zuhörer. Still wird's im Publikum nur, wenn Bailey wieder mal ausgiebig solo seine Falsett-Künste vorführt. Manche verharren dann in Bewunderung, aber viele zeigen nach einer Viertelstunde purem Schmacht-Gesang auch einen dezent genervten Gesichtsausdruck. Bailey hatte offensichtlich wie früher mit einem Problem zu kämpfen: Er stellte sich zu sehr in den Vordergrund.
Statt Gejodel hätten die Fans wahrscheinlich lieber noch ein paar mehr dieser perfekt gespielten Superhits gehört — die Handvoll neuer Songs kam so gut wie gar nicht an. So war's ein etwas unspektakuläres Deutschland-Comeback der ehemaligen Tanzboden-Beherrscher. Völlig indiskutabel klang die Hallen-Verstärkung: Konzertbesuchern heutzutage — bei über 50 Mark Karten-Preis — einen dermaßen schlechten (und vom offensichtlich tauben Mixer-Mann »totgemischten«) Giesskannen-Sound anzubieten, ist eine bodenlose Frechheit. Jeder Zehn-Mark-Walkman liefert besseren Ton. (-mpg)
»EWF« — fast 20 Alben haben sie gemacht und beinahe doppelt soviele Hits - schafften schon vor mahr als zwanzig Jahren das, was man heute — nicht als Stilbegriff, sondern taktisch gesehen, »Crossover« nennt. Die musikalisch perfektionistischen, für die damaligen Studiotechnik-Verhältnisse bis ins letzte ausgefeilten Songs vereinten die Elemente von Soul, Rhythm 'n' Blues, Funk, Pop und Rock. »EWF« war eine der ersten Gruppen, die gleichermaßen bei Farbigen wie Bleichhäuten, bei Tanz-Freaks wie Radiohörern ankam: Die Quadratur des Kreises — jedenfalls aus Sicht desjenigen, der als Pop-Star erfolgreich sein will.
»Earth Wind & Fire« haben die »Disco«-Welle (und den Stil) maßgeblich mitgeprägt und gleichzeitig Äther-Pop der allerbesten Sorte geliefert: Ganze Radiostationen (in unseren Breiten beispielsweise SWF 3) schwenkten Ende der 70er auf die Machart der opulenten und rhythmisch federnden »EWF«-Songs ein — und hatten damit viel Erfolg. Später, als dick aufgetragene Show nicht mehr gefragt war, statt dessen minimalistische New-Wave- und Punk-Töne, wurde es ruhiger um »EWF« — ganz verschwunden von der Bildfläche sind sie dank ihrer auch heute noch oft gesendeten Radio-Hits nie.
Der Mentor und Motor des Ganzen, Maurice White, hat wie viele andere »Oldies« der Branche dem stressigen Tour-Live-Betrieb schon längst den Rücken gekehrt Szene-intern wird gemunkelt, daß er sich mit den anderen nicht mehr besonders gut versteht.
In Stuttgart stand also Philip Bailey, der soundprägende Sänger mit der unverkennbar charakteristischen, hellen Falsettstimme, im Vordergrund. Er, Drummer Ralph Johnson und Bassist Verdine White sind aus den Anfangstagen heute noch dabei; mit ihnen spielten sieben exzellente Profis.
»Nicht kleckern, sondern klotzen« war die Devise, auch wenn »Earth, Wind & Fire« anno '97 auf den optischen Pomp der Spätsiebziger verzichten. Kein Krieg der Sterne wie damals auf der Bühne, kein Laser- oder Blitz-Gewitter wie heute schon fast Standard bei Großkonzerten: Die Musik steht im Mittelpunkt — und die alten Hits bringen Bailey & Co. mit großem Aufwand: Ein zweiter Schlagzeuger, zweimal Percussion, Gitarren, Tasteninstrumente und Sampler reichlich.
Damit schaffen die Musiker weitgehend 1:1-Reproduktionen der Plattenversionen ihrer Evergreens. «Boogie Down«, das »Boogie Wonderland«, »September«, »After the Love Has Gone« oder das »Land of fantasy« klingen genauso zupackend und elegant, genauso elegant und euphorisierend wie der alte Vinyl Stoff.
Und die mittelalterlichen Fans in der locker zu drei Vierteln gefüllten Messehalle B lassen sich von der nostalgisch-perfekten Vorstellung von Anfang an mitreissen. Selbst weit hinten, ja fast am Ausgang tanzen die Zuhörer. Still wird's im Publikum nur, wenn Bailey wieder mal ausgiebig solo seine Falsett-Künste vorführt. Manche verharren dann in Bewunderung, aber viele zeigen nach einer Viertelstunde purem Schmacht-Gesang auch einen dezent genervten Gesichtsausdruck. Bailey hatte offensichtlich wie früher mit einem Problem zu kämpfen: Er stellte sich zu sehr in den Vordergrund.
Statt Gejodel hätten die Fans wahrscheinlich lieber noch ein paar mehr dieser perfekt gespielten Superhits gehört — die Handvoll neuer Songs kam so gut wie gar nicht an. So war's ein etwas unspektakuläres Deutschland-Comeback der ehemaligen Tanzboden-Beherrscher. Völlig indiskutabel klang die Hallen-Verstärkung: Konzertbesuchern heutzutage — bei über 50 Mark Karten-Preis — einen dermaßen schlechten (und vom offensichtlich tauben Mixer-Mann »totgemischten«) Giesskannen-Sound anzubieten, ist eine bodenlose Frechheit. Jeder Zehn-Mark-Walkman liefert besseren Ton. (-mpg)
Freitag, 11. Juli 1997
Die Kleine Tierschau: Drei Humor-Chaoten
Die »Alternative zum guten Geschmack« (Titel eines früheren Programms) beehrte mal wieder Reutlingen — und wie immer bei der »kleinen Tierschau« kamen die Fans in Massen. Die erste Vorstellung in der Listhalle war restlos ausverkauft und auch beim Zusatztermin blieben kaum Plätze im Reutlinger Musentempel frei.
Die Humor-Chaoten aus dem ostälbischen Heubach bringen auch in ihrem aktuellen, nicht mehr ganz taufrischen Programm zwei Stunden lang jene bewährte Mischung aus Musik und Haudrauf-Slapstick, die das Trio um Michael Gaedt seit den Anfängen Mitte der 80er (damals reichten noch »zelle« oder die Kemmlerhalle aus) zu einer der beliebtesten Musik-Comedy-Gruppen im Ländle hat werden lassen.
Neben vielen Musik-Veralberungen - unter anderem zogen die drei Countrymusik wie auch Volkstümelndes und Russen-Folklore durch den Kakao — gab's erneut Kalauer satt zu hören: »Qualität ist für uns kein Schlagwort, sondern ein Fremdwort«, hieß eine dieser Sentenzen, »was heute noch jetzt ist, kann morgen schon gestern sein« eine andere Weisheit der »kleinen Tierschau«, die von den Zuhörern in der zweiten Vorstellung heftig beklatscht wurde.
Gaedt und Co. präsentierten nach einer Publikums-Beteiligungs-Nummer mit (falschen) Alphörnern nach der Pause eine langatmige und vergleichsweise unwitzige Parodie auf Boulevardkomödien. Und auch ein Motorrad-Sketch — seit dem allerersten Programm fast immer Bestandteil der »Tierschau«-Shows — durfte nicht fehlen.
Diesmal warf der begeisterte »Bäschtler« Gaedt ein wahres Monstrum von »Moped« (»des send die broidaschda Schlabba, die'd je gseha hosch'd«) auf der Bühne an — und rollte mit viel Auspuffqualm und heftigstem Motorensound glatt über einen »Matze« aus der Schar der Zuschauer hinweg. Auch das war — natürlich — nur Schau; Matze hat die zweieinhalb Sekunden unter der vierrädrigen (aha!) Konstruktion grinsend überlebt. (-mpg)
Die Humor-Chaoten aus dem ostälbischen Heubach bringen auch in ihrem aktuellen, nicht mehr ganz taufrischen Programm zwei Stunden lang jene bewährte Mischung aus Musik und Haudrauf-Slapstick, die das Trio um Michael Gaedt seit den Anfängen Mitte der 80er (damals reichten noch »zelle« oder die Kemmlerhalle aus) zu einer der beliebtesten Musik-Comedy-Gruppen im Ländle hat werden lassen.
Neben vielen Musik-Veralberungen - unter anderem zogen die drei Countrymusik wie auch Volkstümelndes und Russen-Folklore durch den Kakao — gab's erneut Kalauer satt zu hören: »Qualität ist für uns kein Schlagwort, sondern ein Fremdwort«, hieß eine dieser Sentenzen, »was heute noch jetzt ist, kann morgen schon gestern sein« eine andere Weisheit der »kleinen Tierschau«, die von den Zuhörern in der zweiten Vorstellung heftig beklatscht wurde.
Gaedt und Co. präsentierten nach einer Publikums-Beteiligungs-Nummer mit (falschen) Alphörnern nach der Pause eine langatmige und vergleichsweise unwitzige Parodie auf Boulevardkomödien. Und auch ein Motorrad-Sketch — seit dem allerersten Programm fast immer Bestandteil der »Tierschau«-Shows — durfte nicht fehlen.
Diesmal warf der begeisterte »Bäschtler« Gaedt ein wahres Monstrum von »Moped« (»des send die broidaschda Schlabba, die'd je gseha hosch'd«) auf der Bühne an — und rollte mit viel Auspuffqualm und heftigstem Motorensound glatt über einen »Matze« aus der Schar der Zuschauer hinweg. Auch das war — natürlich — nur Schau; Matze hat die zweieinhalb Sekunden unter der vierrädrigen (aha!) Konstruktion grinsend überlebt. (-mpg)
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Joshua Redman: Mit Seele und Hirn
Eigentlich hätte er gerne noch mehr Zeit in Tübingen verbracht, aber nach dem Gig im Rahmen des »12. Internationalen Tübingen Festival« musste Joshua Redman, 28jähriger Sax-Überflieger aus dem kalifornischen Berkeley, gleich weiter zum nächsten Gig nach Österreich. »A very special town« fiel dem unprätentiösen jungen Meister zur Neckarstadt ein, und immer wieder lobte er die Aufmerksamkeit des Publikums im überfüllten ehemaligen Franzosen-Kino.
Das klang dann nicht einmal nach routinierter Erledigung der Showbiz-Hausaufgaben, sondern war wohl ehrlich gemeint. Und dass sich Redman und seine kongenialen Begleiter Peter Martin (Klavier), Peter Bernstein (Gitarre), Chris Thomas (Bass) und der überragende Schlagzeuger Brian Blade sehr gut gefühlt haben, wurde nicht erst bei dem — speziell den Fans im Foyer gewidmeten — »Dialog« in der frenetisch erklatehten Zugabe-Runde klar.
Redman und Co. zeigten sich nämlich auch im Vergleich zu den beiden zurückliegenden Tübinger Konzerten — musikalisch von ihrer allerbesten Seite: Das Quartett verband Spieltechnik auf allerhöchstem Niveau mit sehr seelenvollem (und tatsächlich auch im engeren Stilbegriff souligem) Ausdruck, brachte zwei reine Spiel-Stunden ohne Pause Jazz, der ebensogut in die Beine ging, wie er kleine graue Zellen anspruchsvoll fütterte. Redman selber deutete immer wieder Tanzbewegungen an und schien besonders beim gleichzeitig polyrhythmisch-vertrackten und dennoch (im Sinne der »Black Music«-Tradition) groovenden Spiel Brian Blades in Bewegung zu kommen.
Der Platten-Name ist hier wohl Programm: Den Schwerpunkt des Konzerts bildeten Stücke, die Redman auf seinem letzten Album »Freedom In The Groove« verewigt hat: Zwingend klang die Tübinger Live-Version von »Pantomine«, direkt hitzig »Hide And Seek« gegen Ende des Konzerts. Der »Jive Coffee« von Peter Bernstein balancierte elegant zwischen nervöser Ausdrucksfreiheit und swingender, tanzbarer Rhythmus-Form, und bei den »Cat Bells« liefen alle innerhalb des Songschemas improvisatorisch zu wahrer Hochform auf.
Hier wurde besonders deutlich, dass man Redman Unrecht tut, wenn man ihn in die Traditionalisten-Ecke stellt. Schon klar, dass der stetig preisgekrönte Musiker das Spiel auf Sopran-, Alt- oder Tenorsax nicht neu definiert.
Aber: Redman spielt nicht nach, sondern bemüht sich recht erfolgreich um einen eigenen Ton und eine eigene Aussage. »Ich höre sowohl mit stilistischer Unschuld wie auch mit ästhetischer, kritischer Intelligenz«, sagt er. Weil er diesen Spagat auch im fünften Jahr seiner Profi-Musikerkarriere anscheinend noch mühelos schafft, befriedigt sein Jazz Herz und Hirn. Und die Tübinger Hörer sind (wieder mal) ziemlich aus dem Häuschen. »Wir werden wiederkommen«, verspricht Joshua zum Abschied. (-mpg)
Das klang dann nicht einmal nach routinierter Erledigung der Showbiz-Hausaufgaben, sondern war wohl ehrlich gemeint. Und dass sich Redman und seine kongenialen Begleiter Peter Martin (Klavier), Peter Bernstein (Gitarre), Chris Thomas (Bass) und der überragende Schlagzeuger Brian Blade sehr gut gefühlt haben, wurde nicht erst bei dem — speziell den Fans im Foyer gewidmeten — »Dialog« in der frenetisch erklatehten Zugabe-Runde klar.
Redman und Co. zeigten sich nämlich auch im Vergleich zu den beiden zurückliegenden Tübinger Konzerten — musikalisch von ihrer allerbesten Seite: Das Quartett verband Spieltechnik auf allerhöchstem Niveau mit sehr seelenvollem (und tatsächlich auch im engeren Stilbegriff souligem) Ausdruck, brachte zwei reine Spiel-Stunden ohne Pause Jazz, der ebensogut in die Beine ging, wie er kleine graue Zellen anspruchsvoll fütterte. Redman selber deutete immer wieder Tanzbewegungen an und schien besonders beim gleichzeitig polyrhythmisch-vertrackten und dennoch (im Sinne der »Black Music«-Tradition) groovenden Spiel Brian Blades in Bewegung zu kommen.
Der Platten-Name ist hier wohl Programm: Den Schwerpunkt des Konzerts bildeten Stücke, die Redman auf seinem letzten Album »Freedom In The Groove« verewigt hat: Zwingend klang die Tübinger Live-Version von »Pantomine«, direkt hitzig »Hide And Seek« gegen Ende des Konzerts. Der »Jive Coffee« von Peter Bernstein balancierte elegant zwischen nervöser Ausdrucksfreiheit und swingender, tanzbarer Rhythmus-Form, und bei den »Cat Bells« liefen alle innerhalb des Songschemas improvisatorisch zu wahrer Hochform auf.
Hier wurde besonders deutlich, dass man Redman Unrecht tut, wenn man ihn in die Traditionalisten-Ecke stellt. Schon klar, dass der stetig preisgekrönte Musiker das Spiel auf Sopran-, Alt- oder Tenorsax nicht neu definiert.
Aber: Redman spielt nicht nach, sondern bemüht sich recht erfolgreich um einen eigenen Ton und eine eigene Aussage. »Ich höre sowohl mit stilistischer Unschuld wie auch mit ästhetischer, kritischer Intelligenz«, sagt er. Weil er diesen Spagat auch im fünften Jahr seiner Profi-Musikerkarriere anscheinend noch mühelos schafft, befriedigt sein Jazz Herz und Hirn. Und die Tübinger Hörer sind (wieder mal) ziemlich aus dem Häuschen. »Wir werden wiederkommen«, verspricht Joshua zum Abschied. (-mpg)
Mittwoch, 9. Juli 1997
AfroBrasil Tübingen '97: Carlinhos Browns unbändiger Samba-Funk
So eine AfroBrasil-Show gab's auf dem Tübinger Marktplatz noch nie zu sehen: Carlinhos Brown, der momentane Motor in Brasiliens Produzenten-Szene, brachte mit seiner hochenergetischen Samba-Funk-Show die Fans noch schneller als alle Brasil-Stars in hemmungslos ausgelassene Tanz-Ekstase — und setzte dem diesjährigen »AfroBrasil«-Festival des »Zentrum Zoo« auch in musikalischer Hinsicht die Krone auf.
»Bahias Hansdampf in allen Gassen« - knapp 30 brasilianische Nummer-Eins-Hits hat er innerhalb der letzten Dekade veröffentlicht — war mit mehr als einem Dutzend hervorragender Musiker nach Tübingen gereist — und nicht nur in Bezug auf die Ensemble-Grösse erinnerte die schon vor dem Konzert prächtig aufgelegte Musiker-Clique an die von George Clinton.
Wie beim durchgeknallten amerikanischen Funk-Vater brachten sich Instrumentalisten und Tänzer lange vor dem — verspäteten — Gig hinter der Bühne tanzend und singend in Stimmung, wie der Steuermann des »Mothership of Funk« setzte auch Carlinhos Brown auf Power pur: Wer nicht dabeigewesen ist, kann die unbändige Energie, mit der diese »Banda« ohne eine einzige Pause ans Werk ging, nur schwer nachvollziehen.
Drei Perkussionisten und ein Drummer, jeder einzelne für ein Extra-Konzert gut, woben in genialer Handarbeit einen extrem dichten, dabei bedingungslos groovenden Rhythmusteppich zwischen Samba, Funk, Reggae und swingender US-Jazzer-Tradition, die perfekt (und sehr »knackig«) arbeitende Bläser-Section gab dem Ganzen mal einen eher erdigen, dann wieder — mit jagenden Arrangements — einen durchgedrehten Anstrich.
Dazu lieferten sich die beiden Saiten-Jünger Juninho Costa und Roseval Evangelista im Verbund mit dem Chef heftigste Gitarren-Duelle mit und ohne Verzerrer-Turbo: Eine Band in der Band, die nicht nur technisch souverän aufspielte, sondern auch ständig — und wie nebenbei — Zitat-Splitter von Duke Ellington bis Miles Davis unterbrachte.
Das Kunststück des Arrangeurs Carlinhos Brown besteht darin, diese schier nicht zu bremsende musikalische Energie so im Kontext zu verteilen, dass nicht Chaos entsteht: Wer genau hinhörte (und das war anfangs schwierig, weil der brasilianische Tonmann die fremde Anlage nicht gewohnt war), konnte feststellen, dass jedes Solo, jedes Perkussion-Highlight passgenau in Tutti-Pausen eingefügt war — besser gemacht kann man sich's kaum vorstellen.
Zur Musik lieferten diese Hochgeschwindigkeits-Artisten eine nicht minder abwechslungsreiche, nicht weniger zwingende Show: Dauernd war Bewegung auf der Bühne — bis auf den Keyboarder und den Drummer absolvierten alle ihr enormes Musik-Pensum mit anscheinend unversiegender Tanzenergie.
Und Carlinhos Brown, der Mittdreissiger mit den langen, fliegenden Rasta-Zöpfen, spurtete mit Gitarre und Funkmikro unablässig von einer Bühnen-Ecke in die andere und scheute selbst den risikoreichen Kontakt mit der ausgerasteten Masse nicht. Leichtfüssig fast wie ein Eichhörnchen war er plötzlich von der Bühne auf die Absperrgitter gesprungen, hielt dort — von zwei schwitzenden Sicherheits-Leuten an den Fussgelenken gestützt — eine Weile singend die Balance, bevor er sich einfach ins Meer emporgereckter Arme warf.
Das Publikum zeigte sich in höchstem Mass euphorisiert — und Winfried Kast, der »Zoo«-Chef, schaute immer sorgenvoller auf die Uhr und nach dem Mann vom Ordnungsamt. Bis 22 Uhr war der Betrieb der Tonanlage genehmigt; hätte Rainer Kaltenmark, der städtische »Kontrolleur«, nicht nach einiger Diskussion ein Auge zugedrückt, wäre schon noch 25 Minuten mit der Fete Schluss gewesen. So gab Kast den etwas verdutzten Musikern erst kurz nach halb elf das Stopp-Zeichen — Carlinhos und Co. hätten mit ihrem Power-Samba wohl noch eine ganze Weile weitermachen können. Die johlenden, lange nicht zu beruhigenden Fans auch. (-mpg)
»Bahias Hansdampf in allen Gassen« - knapp 30 brasilianische Nummer-Eins-Hits hat er innerhalb der letzten Dekade veröffentlicht — war mit mehr als einem Dutzend hervorragender Musiker nach Tübingen gereist — und nicht nur in Bezug auf die Ensemble-Grösse erinnerte die schon vor dem Konzert prächtig aufgelegte Musiker-Clique an die von George Clinton.
Wie beim durchgeknallten amerikanischen Funk-Vater brachten sich Instrumentalisten und Tänzer lange vor dem — verspäteten — Gig hinter der Bühne tanzend und singend in Stimmung, wie der Steuermann des »Mothership of Funk« setzte auch Carlinhos Brown auf Power pur: Wer nicht dabeigewesen ist, kann die unbändige Energie, mit der diese »Banda« ohne eine einzige Pause ans Werk ging, nur schwer nachvollziehen.
Drei Perkussionisten und ein Drummer, jeder einzelne für ein Extra-Konzert gut, woben in genialer Handarbeit einen extrem dichten, dabei bedingungslos groovenden Rhythmusteppich zwischen Samba, Funk, Reggae und swingender US-Jazzer-Tradition, die perfekt (und sehr »knackig«) arbeitende Bläser-Section gab dem Ganzen mal einen eher erdigen, dann wieder — mit jagenden Arrangements — einen durchgedrehten Anstrich.
Dazu lieferten sich die beiden Saiten-Jünger Juninho Costa und Roseval Evangelista im Verbund mit dem Chef heftigste Gitarren-Duelle mit und ohne Verzerrer-Turbo: Eine Band in der Band, die nicht nur technisch souverän aufspielte, sondern auch ständig — und wie nebenbei — Zitat-Splitter von Duke Ellington bis Miles Davis unterbrachte.
Das Kunststück des Arrangeurs Carlinhos Brown besteht darin, diese schier nicht zu bremsende musikalische Energie so im Kontext zu verteilen, dass nicht Chaos entsteht: Wer genau hinhörte (und das war anfangs schwierig, weil der brasilianische Tonmann die fremde Anlage nicht gewohnt war), konnte feststellen, dass jedes Solo, jedes Perkussion-Highlight passgenau in Tutti-Pausen eingefügt war — besser gemacht kann man sich's kaum vorstellen.
Zur Musik lieferten diese Hochgeschwindigkeits-Artisten eine nicht minder abwechslungsreiche, nicht weniger zwingende Show: Dauernd war Bewegung auf der Bühne — bis auf den Keyboarder und den Drummer absolvierten alle ihr enormes Musik-Pensum mit anscheinend unversiegender Tanzenergie.
Und Carlinhos Brown, der Mittdreissiger mit den langen, fliegenden Rasta-Zöpfen, spurtete mit Gitarre und Funkmikro unablässig von einer Bühnen-Ecke in die andere und scheute selbst den risikoreichen Kontakt mit der ausgerasteten Masse nicht. Leichtfüssig fast wie ein Eichhörnchen war er plötzlich von der Bühne auf die Absperrgitter gesprungen, hielt dort — von zwei schwitzenden Sicherheits-Leuten an den Fussgelenken gestützt — eine Weile singend die Balance, bevor er sich einfach ins Meer emporgereckter Arme warf.
Das Publikum zeigte sich in höchstem Mass euphorisiert — und Winfried Kast, der »Zoo«-Chef, schaute immer sorgenvoller auf die Uhr und nach dem Mann vom Ordnungsamt. Bis 22 Uhr war der Betrieb der Tonanlage genehmigt; hätte Rainer Kaltenmark, der städtische »Kontrolleur«, nicht nach einiger Diskussion ein Auge zugedrückt, wäre schon noch 25 Minuten mit der Fete Schluss gewesen. So gab Kast den etwas verdutzten Musikern erst kurz nach halb elf das Stopp-Zeichen — Carlinhos und Co. hätten mit ihrem Power-Samba wohl noch eine ganze Weile weitermachen können. Die johlenden, lange nicht zu beruhigenden Fans auch. (-mpg)
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Dienstag, 8. Juli 1997
Andreas Dorau: Unlustiges NDW-Sternchen
Na ja — ein Stromausfall kann auch seine guten Seiten haben: Weil Andreas Dorau, vor einer Dekade schnellverlöschte helle Flamme der »Neuen Deutschen Welle«, zu später Stunde im Tübinger »Depot« gut 30 Minuten ohne »Saft« im Computer überbrücken mußte, liess er sich auf Frage-und Antwortspielchen mit dem Publikum ein.
So war zu erfahren, dass er »Musik schon lange nicht mehr gerne macht« und nicht gerne »Andi« genannt wird. Die Qualität anderer Fragen mussten starke Zweifel an der Funktionsfähigkeit mancher Fan-Hirne aufkommen lassen.
So gab's das recht ausgiebige Konzert — nach elend langer Wartezeit — halt nur in Häppchen zu genießen. Schon ganz am Anfang hatte Dorau (»Fred vom Jupiter« hiess sein allergrösster Hit) ein Sektglas über eine Steckdosenleiste gekippt; der dezent antiquierte »Atari«- Computer — das sowieso ein recht empfindliche Teil spielte an diesem Abend die musikalische Hauptrolle — erholte sich von dieser Strom-Schlappe den ganzen Abend über nicht mehr recht: Kaum hatte der Musik-Programmierer, der zusammen mit Dorau und einem Live-Schlagzeuger auf der Bühne, stand, das Sequenzer-Programm wieder hochgefahren, verabschiedete sich der Computer von neuem.
Die vielleicht 200 gnadenlos partywilligen Zuhörer haben diese Pausen offensichtlich weniger gestört als den Schlagersänger, der heute seine nur vermeintlich hintergründigen Tralala-Zeilen in zeitgemässen Discosound — Vierviertel-Gebummmere mit Drum'n'Bass-Geklappere und HipHop-Klischees — verpackt: Immer nervöser und schlechter gelaunt gab sich Dorau: »So etwas ist uns noch nie passiert. Scheiss Schwabenland, scheiss schwäbische Stecker!«.
Das Beste wird sein, er macht bei der nächsten Tour ums Ländle einfach einen großen Bogen. (-mpg)
So war zu erfahren, dass er »Musik schon lange nicht mehr gerne macht« und nicht gerne »Andi« genannt wird. Die Qualität anderer Fragen mussten starke Zweifel an der Funktionsfähigkeit mancher Fan-Hirne aufkommen lassen.
So gab's das recht ausgiebige Konzert — nach elend langer Wartezeit — halt nur in Häppchen zu genießen. Schon ganz am Anfang hatte Dorau (»Fred vom Jupiter« hiess sein allergrösster Hit) ein Sektglas über eine Steckdosenleiste gekippt; der dezent antiquierte »Atari«- Computer — das sowieso ein recht empfindliche Teil spielte an diesem Abend die musikalische Hauptrolle — erholte sich von dieser Strom-Schlappe den ganzen Abend über nicht mehr recht: Kaum hatte der Musik-Programmierer, der zusammen mit Dorau und einem Live-Schlagzeuger auf der Bühne, stand, das Sequenzer-Programm wieder hochgefahren, verabschiedete sich der Computer von neuem.
Die vielleicht 200 gnadenlos partywilligen Zuhörer haben diese Pausen offensichtlich weniger gestört als den Schlagersänger, der heute seine nur vermeintlich hintergründigen Tralala-Zeilen in zeitgemässen Discosound — Vierviertel-Gebummmere mit Drum'n'Bass-Geklappere und HipHop-Klischees — verpackt: Immer nervöser und schlechter gelaunt gab sich Dorau: »So etwas ist uns noch nie passiert. Scheiss Schwabenland, scheiss schwäbische Stecker!«.
Das Beste wird sein, er macht bei der nächsten Tour ums Ländle einfach einen großen Bogen. (-mpg)
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Helge Schneider: Gnadenlos komisch
Der Mann ist ein Phänomen: Helge Schneider brauchte auch bei seinem erneuten Gastspiel in der Reutlinger Listhalle nur auf die Bühne zu kommen, um tosenden Applaus und wieherndes Gelächter zu ernten. Selbst Gesten, die von dem ehemals mit schrägen Jazz-Tönen erfolglosen heutigen Star-Komiker gar nicht komisch gemeint waren, quittierten die 700 mit lautstarken Bekundungen ihres Amüsements.
Der Mülheimer setzt nach wie vor auf gnadenlose Kaputt-Komik: permanent verstößt er gegen Bühnen-Regeln, macht dramaturgisch und showmässig bewußt und gekonnt fast alles falsch, was man falsch machen kann. Die Häschen-Witze zu Beginn haben (natürlich) keine Pointe und versanden, bevor Spannung aufgebaut ist; dauernd teilt Helge ungefragt die Uhrzeit mit — und als er aus der Pause in seinem blauen Billiganzug mit dem unverschämt breiten Revers unter der Un-Frisur wieder auf die Bühne schlappt, begrüsst er die Fans fast gähnend: »Soo . . . geht weiter . . . muss ja, nä?«
Diesmal hat Schneider keine kleine Combo dabei, und auch keine Bigband: Von einem siebenköpfigen, grundsätzlich sehr fein im Swing-Stil der späten 30er aufspielenden Salonorchester — Gitarre, Baß, Drums, Trompete, Posaune, zweimal Saxophon — lässt er sich begleiten.
Selber spielt er Flügel, Quetschkommode oder Melodica — und so manchesmal schimmert bei brillanten, jazzigen Solo-Einsprengseln durch, dass der Multi-Instrumentalist Schneider von seinen extrem vergurkten Musikparodien der letzten Jahre genug hat. (mpg)
Der Mülheimer setzt nach wie vor auf gnadenlose Kaputt-Komik: permanent verstößt er gegen Bühnen-Regeln, macht dramaturgisch und showmässig bewußt und gekonnt fast alles falsch, was man falsch machen kann. Die Häschen-Witze zu Beginn haben (natürlich) keine Pointe und versanden, bevor Spannung aufgebaut ist; dauernd teilt Helge ungefragt die Uhrzeit mit — und als er aus der Pause in seinem blauen Billiganzug mit dem unverschämt breiten Revers unter der Un-Frisur wieder auf die Bühne schlappt, begrüsst er die Fans fast gähnend: »Soo . . . geht weiter . . . muss ja, nä?«
Diesmal hat Schneider keine kleine Combo dabei, und auch keine Bigband: Von einem siebenköpfigen, grundsätzlich sehr fein im Swing-Stil der späten 30er aufspielenden Salonorchester — Gitarre, Baß, Drums, Trompete, Posaune, zweimal Saxophon — lässt er sich begleiten.
Selber spielt er Flügel, Quetschkommode oder Melodica — und so manchesmal schimmert bei brillanten, jazzigen Solo-Einsprengseln durch, dass der Multi-Instrumentalist Schneider von seinen extrem vergurkten Musikparodien der letzten Jahre genug hat. (mpg)
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Montag, 7. Juli 1997
AfroBrasil Tübingen '97: Rauschendes Brasil-Fest im Regen
Fast so etwas wie ein Wunder: Trotz strömenden Regens und viel zu kühler Witterung fiel das »AfroBrasil 97«-Festival auf dem Tübinger Marktplatz nicht ins Wasser. Im Gegenteil: Die Stimmung unter den aufgespannten Regenschirmen war am Samstagnachmittag durchweg erstaunlich gut - und spät abends, als der Top-Act »E o Tchan« die Trommeln sprechen liess, gab's zumindest unter den Brasilianern im Publikum fast kein Halten mehr: Pure Begeisterung stand in vielen Gesichtern, hemmungsloses Tanzvergnügen war angesagt.
In musikalischer Hinsicht bot die zehnköpfige »Supergruppe« mit ihrem recht konventionellen Party-Sound keine Überraschung — und die mit derben sexuellen Anspielungen gespickte Show überschritt öfters die Grenzen des guten Geschmacks.
Daniela Mercury lieferte dagegen eine Show, mit der sie jedem internationalen Anspruch genügt. Die Sängerin hat im Vergleich zu ihrem ersten Tübinger Auftritt vor Jahren an gesanglicher und darstellerischer Reife noch zugelegt: Wer ihre ausgefeilte, perfektionistische Vorstellung auf dem Marktplatz gesehen hat, versteht, warum Mercury von Broadway-Producern die Musical-Rolle der berühmten brasilianischen Sängerin Carmen Miranda für 25 Millionen Dollar angeboten wurde.
Daniela lehnte ab und präsentiert lieber ihr eigenes Ding: »Feijao com Arroz« ist ein bis ins letzte Detail ausgefeiltes, wirbelnd schnelles Spektakel, das ganz besonders auch wegen der hervorragend und präzise umgesetzten, schwierigen Choreographie überzeugt.
Schade, dass nicht Mercury, sondern die nachfolgenden »E o Tchan« in den Genuss eines optisch von Pit Eitle und Friedrich Förster »umgebauten« Marktplatzes kamen: Die Tübinger Lichtkünstler gaben den Hausfassaden mit Hilfe riesiger Diaprojektoren ein neues Aussehen — und ernteten viele respektvoll staunende Blicke für ihre Präzisionsarbeit.
Selbst nach dem hitzigen Taumel auf dem Marktplatz bis Mitternacht hatten viele noch nicht genug: Gut 1 000 Brasil-Fans festeten im Foyer noch bis in den frühen Morgen hinein weiter — mit antreibender Live-Tanzmusik von Carlos Pitta, der dort noch einmal seine schnelle »Forrö«-Musik spielte: Schon auf dem Marktplatz hatte er als allererster die Fans schnell in Stimmung gebracht.
Gilberto Gil Superstar: Der erneute Tübinger Auftritt des Übervaters der »Musica Popular Brasileira« überstrahlte am Sonntag das sowieso schon hervorragende Musikprogramm: Ungebremster Jubel herrschte da unter seinen Landsleuten. Celina Peireira von den Kapverden bildete mit einer musikhistorisch fundierten Vorstellung weiter und gefiel mit ihrem warmen, ausdrucksvollen Alt.
Die Japaner von »The Boom« — ihre Fans hatten sie gleich mit eingeflogen — liessen es mit einer sehr ungewöhnlichen Mischung aus traditioneller japanischer Musik, Funk, Samba und prügelhartem Metal krachen. (-mpg)
In musikalischer Hinsicht bot die zehnköpfige »Supergruppe« mit ihrem recht konventionellen Party-Sound keine Überraschung — und die mit derben sexuellen Anspielungen gespickte Show überschritt öfters die Grenzen des guten Geschmacks.
Daniela Mercury lieferte dagegen eine Show, mit der sie jedem internationalen Anspruch genügt. Die Sängerin hat im Vergleich zu ihrem ersten Tübinger Auftritt vor Jahren an gesanglicher und darstellerischer Reife noch zugelegt: Wer ihre ausgefeilte, perfektionistische Vorstellung auf dem Marktplatz gesehen hat, versteht, warum Mercury von Broadway-Producern die Musical-Rolle der berühmten brasilianischen Sängerin Carmen Miranda für 25 Millionen Dollar angeboten wurde.
Daniela lehnte ab und präsentiert lieber ihr eigenes Ding: »Feijao com Arroz« ist ein bis ins letzte Detail ausgefeiltes, wirbelnd schnelles Spektakel, das ganz besonders auch wegen der hervorragend und präzise umgesetzten, schwierigen Choreographie überzeugt.
Schade, dass nicht Mercury, sondern die nachfolgenden »E o Tchan« in den Genuss eines optisch von Pit Eitle und Friedrich Förster »umgebauten« Marktplatzes kamen: Die Tübinger Lichtkünstler gaben den Hausfassaden mit Hilfe riesiger Diaprojektoren ein neues Aussehen — und ernteten viele respektvoll staunende Blicke für ihre Präzisionsarbeit.
Selbst nach dem hitzigen Taumel auf dem Marktplatz bis Mitternacht hatten viele noch nicht genug: Gut 1 000 Brasil-Fans festeten im Foyer noch bis in den frühen Morgen hinein weiter — mit antreibender Live-Tanzmusik von Carlos Pitta, der dort noch einmal seine schnelle »Forrö«-Musik spielte: Schon auf dem Marktplatz hatte er als allererster die Fans schnell in Stimmung gebracht.
Gilberto Gil Superstar: Der erneute Tübinger Auftritt des Übervaters der »Musica Popular Brasileira« überstrahlte am Sonntag das sowieso schon hervorragende Musikprogramm: Ungebremster Jubel herrschte da unter seinen Landsleuten. Celina Peireira von den Kapverden bildete mit einer musikhistorisch fundierten Vorstellung weiter und gefiel mit ihrem warmen, ausdrucksvollen Alt.
Die Japaner von »The Boom« — ihre Fans hatten sie gleich mit eingeflogen — liessen es mit einer sehr ungewöhnlichen Mischung aus traditioneller japanischer Musik, Funk, Samba und prügelhartem Metal krachen. (-mpg)
Dienstag, 1. Juli 1997
Charlie Mariano: Charlie spricht
Ein Großereignis in der Jazz-Szene: die Stuttgarter Jazz Open '97 laden zu »Charlie Marianos Jazz World« ein dreieinhalb Stunden Livemusik mit, von und um den »elder statesman« des Jazzsaxophons.
Viele bekannte Kollegen des 73jährigen Musikers erweisen im Juli in der Liederhalle dem Meister ihre Reverenz: Trilok Gurtu, Dino Saluzzi, Wolfgang Dauner, Rabih Abou-Khalil und und und...Martin Gerner plauderte mit Mariano über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Dreieinhalb Stunden Live-Konzert, ein Mords-Streß?
Nee — ein Vergnügen. Ich seh da viele alte Weggefährten — und außerdem kann ich auch mit jungen, hervorragenden Musikern zusammenspielen, mit denen ich vorher noch nicht auf einer Bühne gestanden hin.
Was ist die Idee hinter diesem Abend?
Wir wollen die verschiedenen Phasen meiner Laufbahn zusammenfassen, das Ganze ist ein Trip durch das, was mir in meinem Leben passiert ist. Ich hab' ja 1941 nicht angefangen und mir gesagt: »Du wirst irgendwann mit Sicherheit die und die Sachen spielen«. Zuerst waren da nur die Bigbands, das hab ich bald gehaßt. Dann war Bebop angesagt, und Charlie Parker wurde mein Idol. Und dann hab' ich eine japanische Pianistin (Toshiko Akiyoshi, Anm. d. A.) kennengelernt, sie geheiratet und hin nach Japan gegangen. Da hörte ich dann ganz zwangsläufig asiatische Musik, was hätt' ich machen sollen (lächelt versonnen)...
Das hört sich alles sehr nach Zufall an ...
Ja klar, ich hab' in meinem Leben nie groß geplant, es hat sich alles immer irgendwie ergeben. Nach Europa kam ich, weil in den 70ern das Leben als Jazzmusiker in den USA verdammt hart wurde. In Deutschland bin ich wegen meiner dritten Frau hängengeblieben, außerdem waren die Deutschen am anständigsten und aufmerksamsten zu mir. Ausgerechnet hier hab' ich dann durch die Jungs von »Embryo« das indische Karnataka College of Percussion kennengelernt, und auch den Libanesen Rabih Abou-Khalil... Hab' ich was Wichtiges vergessen? Ach so - Argentinien: Dino Saluzzi traf ich in Stuttgart durch Wolfgang Dauner; Werner Schretzmeier vom Theaterhaus meinte, wir sollten mal ein Trio machen . . Wie gesagt: Alles Zufall!
Hat Mariano, der Wanderer zwischen den Welten, auch eine Lieblingsmusik?
Eigentlich nicht, es kommt ja dauernd (lacht) zufällig was Neues. Was den »Wanderer zwischen den Welten« angeht: Ich bin schon ruhiger geworden, hab' seit langem aufgehört, den Frauen nachzujagen, und bin sehr glücklich in Köln verheiratet.
Du bist Jazz-Nomade und Weltmusik-Experte. Was hältst Du von »Fusion«-Stilen?
Zuallererst: Das war meistens alles andere als leicht, sich in die fremde Musik einzufühlen, und oft merkt man erst nach Jahren, daß es doch nicht paßt. Die Nagaswaram (indische Flöte, Anm. d. A.) hab' ich jetzt, nach -zig Jahren, wieder weggelegt. In Indien fängt man das Instrument mit zehn Jahren an. Mir hat's irgendwann gedämmert, daß ich das nicht mehr aufholen kann.
Zu Deiner Frage: Ich mag die verschiedenen Sorten von »Fusion« überhaupt nicht. In der Regel werden da Musik-Welten zusammengeschmissen, die nicht zu vereinbaren sind. Und die Musiker können logischerweise nur nebeneinander her-, nicht miteinander arbeiten. Trotzdem hin ich kein Purist, ich mag fast alle Sounds auf dieser Welt.
In Europa bist Du die überragende Figur der Jazzszene, zu Hause in den USA nicht. Vermißt Du die Anerkennung Deiner Landsleute?
Nö. Außerdem ist es zwangsläufig, daß du in den USA schnell weg vom Fenster bist, wenn du nicht ständig vor Ort spielst.'Wenn ich dort Karriere hätte machen wollen, hätt' ich auf die ganzen Reisen verzichten müssen. Nein danke! Noch was: Ich hin vor einem halben Jahrhundert Musiker geworden, um mit Spielen meinen Lebensunterhalt zu verdienen — und ich hab' verdammt wenig Sachen spielen müssen, das meiste hab' ich freiwillig gemacht. und auch gemocht. Ich hin ein glücklicher Mensch, ich vermisse nichts. (mpg)
Viele bekannte Kollegen des 73jährigen Musikers erweisen im Juli in der Liederhalle dem Meister ihre Reverenz: Trilok Gurtu, Dino Saluzzi, Wolfgang Dauner, Rabih Abou-Khalil und und und...Martin Gerner plauderte mit Mariano über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Dreieinhalb Stunden Live-Konzert, ein Mords-Streß?
Nee — ein Vergnügen. Ich seh da viele alte Weggefährten — und außerdem kann ich auch mit jungen, hervorragenden Musikern zusammenspielen, mit denen ich vorher noch nicht auf einer Bühne gestanden hin.
Was ist die Idee hinter diesem Abend?
Wir wollen die verschiedenen Phasen meiner Laufbahn zusammenfassen, das Ganze ist ein Trip durch das, was mir in meinem Leben passiert ist. Ich hab' ja 1941 nicht angefangen und mir gesagt: »Du wirst irgendwann mit Sicherheit die und die Sachen spielen«. Zuerst waren da nur die Bigbands, das hab ich bald gehaßt. Dann war Bebop angesagt, und Charlie Parker wurde mein Idol. Und dann hab' ich eine japanische Pianistin (Toshiko Akiyoshi, Anm. d. A.) kennengelernt, sie geheiratet und hin nach Japan gegangen. Da hörte ich dann ganz zwangsläufig asiatische Musik, was hätt' ich machen sollen (lächelt versonnen)...
Das hört sich alles sehr nach Zufall an ...
Ja klar, ich hab' in meinem Leben nie groß geplant, es hat sich alles immer irgendwie ergeben. Nach Europa kam ich, weil in den 70ern das Leben als Jazzmusiker in den USA verdammt hart wurde. In Deutschland bin ich wegen meiner dritten Frau hängengeblieben, außerdem waren die Deutschen am anständigsten und aufmerksamsten zu mir. Ausgerechnet hier hab' ich dann durch die Jungs von »Embryo« das indische Karnataka College of Percussion kennengelernt, und auch den Libanesen Rabih Abou-Khalil... Hab' ich was Wichtiges vergessen? Ach so - Argentinien: Dino Saluzzi traf ich in Stuttgart durch Wolfgang Dauner; Werner Schretzmeier vom Theaterhaus meinte, wir sollten mal ein Trio machen . . Wie gesagt: Alles Zufall!
Hat Mariano, der Wanderer zwischen den Welten, auch eine Lieblingsmusik?
Eigentlich nicht, es kommt ja dauernd (lacht) zufällig was Neues. Was den »Wanderer zwischen den Welten« angeht: Ich bin schon ruhiger geworden, hab' seit langem aufgehört, den Frauen nachzujagen, und bin sehr glücklich in Köln verheiratet.
Du bist Jazz-Nomade und Weltmusik-Experte. Was hältst Du von »Fusion«-Stilen?
Zuallererst: Das war meistens alles andere als leicht, sich in die fremde Musik einzufühlen, und oft merkt man erst nach Jahren, daß es doch nicht paßt. Die Nagaswaram (indische Flöte, Anm. d. A.) hab' ich jetzt, nach -zig Jahren, wieder weggelegt. In Indien fängt man das Instrument mit zehn Jahren an. Mir hat's irgendwann gedämmert, daß ich das nicht mehr aufholen kann.
Zu Deiner Frage: Ich mag die verschiedenen Sorten von »Fusion« überhaupt nicht. In der Regel werden da Musik-Welten zusammengeschmissen, die nicht zu vereinbaren sind. Und die Musiker können logischerweise nur nebeneinander her-, nicht miteinander arbeiten. Trotzdem hin ich kein Purist, ich mag fast alle Sounds auf dieser Welt.
In Europa bist Du die überragende Figur der Jazzszene, zu Hause in den USA nicht. Vermißt Du die Anerkennung Deiner Landsleute?
Nö. Außerdem ist es zwangsläufig, daß du in den USA schnell weg vom Fenster bist, wenn du nicht ständig vor Ort spielst.'Wenn ich dort Karriere hätte machen wollen, hätt' ich auf die ganzen Reisen verzichten müssen. Nein danke! Noch was: Ich hin vor einem halben Jahrhundert Musiker geworden, um mit Spielen meinen Lebensunterhalt zu verdienen — und ich hab' verdammt wenig Sachen spielen müssen, das meiste hab' ich freiwillig gemacht. und auch gemocht. Ich hin ein glücklicher Mensch, ich vermisse nichts. (mpg)
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In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...
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